Belle Etage - Spitzensport im Treppenhaus
Treppenlaufen? 100 Stockwerke und mehr?
Für normale Menschen eine schreckliche Vorstellung. Nicht für den 26 jährigen Wahl-Münchner, Matthias Jahn. Er tut’s freiwillig!
Treppenlaufen sei sogar seine Passion geworden. Mit dieser Leidenschaft ist er nicht allein. Nicht mehr. Immer schon liefen Sportler unterschiedlichster Disziplinen im Training Treppen hoch, um Kondition zu bolzen, aber mittlerweile gibt es weltweit auch ein paar hundert Menschen, die das mit dem Treppenlaufen ernster nehmen. Die Weltspitze tingelt von einem Run Up zum nächsten. So nennt sich der Wettbewerb, bei dem Sportler in einem Treppenhaus auf Zeit nach oben flitzen. Es gibt Run Ups in Wien, Berlin, Hamburg, Stuttgart, in so ziemlich jeder Stadt, die über mindestens ein Hochhaus verfügt.
Die Creme de la Creme der Treppenläufer aber fiebert den Highlights der Saison entgegen: den Läufen auf die ganz hohen und damit anspruchsvollen Wolkenkratzer dieser Erde. Diese finden sich in Dubai, New York, Taipeh oder Chicago. Wer eine begehrte Einladung zu so einem Event erhält, hat es innerhalb der Szene bereits geschafft. Gewinnt man aber den Taipeh 101 Run Up, den Empire State Building Lauf oder den Chicago Skyrise, wird man in der Welt des Sports nicht nur wahr-, sondern langsam aber sicher auch ernst genommen.
Man muss sich das einmal vorstellen: Jeder ist schon einmal auf einen Berg gegangen. Wer’s konditionell drauf hat und flott geht, schafft 500 Höhenmeter in etwa einer Stunde.
Als Matthias Jahn aber im vergangenen November beispielsweise den Willis Tower (ehemals Sears Tower) in Chicago hochjagte, benötigte er für die 442 Meter, 2019 Stufen, 103 Stockwerke gerade einmal 13 Minuten und 9 Sekunden. Vergangenen Samstag in New York Samstag bewältigte er die 381 Höhenmeter, 1576 Stufen, 86 Stockwerke des Empire State Buildings in 10 Minuten 56 Sekunden.
Das ist irrsinnig schnell, wenn man die konstante Steilheit der Strecke bedenkt. Das ist absoluter Spitzensport. Und das in einem Stiegenhaus!
Nur je drei Tage war Matthias Jahn in Chicago und New York vor Ort, musste er doch jeweils am Montag wieder in München hinterm Schreibtisch sitzen. Wie geht man da mit Jetlag um? „Der darf erst gar nicht entstehen“, grinst er. „Ich bin täglich um 3 Uhr nachts aufgestanden und erst einmal zum Joggen gegangen.“ Vor den Rennen lief er sogar zweimal. Um 3 Uhr zum Wachwerden. Um 6 Uhr zum Aufwärmen. Dazwischen gab’s ein leichtes Frühstück. Um 7 Uhr in Chicago dann den Sieg. In New York stand er gegen 10 Uhr auf dem Podest.
Wie Matthias zum Treppenlaufen kam? Gelaufen ist er immer schon. Früher waren es Bergläufe. Auch da war er Weltspitze. Ein Trainer setzte ihm schließlich den Floh ins Ohr, doch einmal an einem Treppenlauf teilzunehmen. Jahn tat’s und landete gleich auf einem Spitzenplatz. Eine Einladung nach New York folgte. Und so nahm das quasi seinen Treppenlauf. Matthias dazu: „In Hochhäusern zu laufen ist viel extremer als ein Berglauf. Ich erreiche bereits nach ein paar Etagen meinen Maximalpuls. Total am Limit zu sein, das ist der Reiz.“
Prinzipiell kann jeder Stufenlaufen, oder? Wohl richtig, aber: Ein Profi wie Jahn analysiert die „Strecke“ vorab akribisch und richtet seine Taktik danach aus. Dreht das Treppenhaus links- oder rechtsrum? Gibt es ein Geländer oder zwei? Wie ist die Kehre im Treppenhaus? Mit Podest? Ohne? Nichts wird dem Zufall überlassen. In Chicago stimmten Taktik und Ergebnis. „Das Treppenhaus kam mir sehr entgegen“, erklärt Matthias, denn in etwa der Mitte drehte das Treppenhaus von links nach rechts. „So konnte ich die angeschlagene Körperseite super entlasten.“ Jahn pulverisierte den bestehenden Streckenrekord aus dem Jahr 2005. Auch mit Platz zwei in New York war Matthias sehr zufrieden. „New York ist ein Wahnsinns-Rennen. Massenstart! Da ist Hauen und Stechen angesagt. Ich kam gut weg. Doch Dauerkonkurrent und Kumpel, Thomas Dold, war dieses Mal einfach schneller.“
Erfolgreich verlief sie, die Saison 2009. Auch beim London Tower 42 Run Up und beim Vertical Marathon in Dubai war er Sieger. Um das Niveau zu halten, muss Matthias richtig viel trainieren. Und das alles neben dem Beruf. Denn Geld ist kaum zu holen in diesem Sport. Entsprechend dankbar ist Matthias auch seinem Arbeitgeber in München, Erlebnisgeschenke-Guru, Jochen Schweizer. „Er unterstützt mich sehr, gewährt mir unkompliziert Urlaub für die Wettkämpfe, Freizeiten fürs Training. Jochen Schweizer ist ja selbst ein Sport-Verrückter. Er kann meine Leidenschaft nachvollziehen und unterstützt mich sogar als Sponsor. Meine mittlerweile über 100 Arbeitskollegen fiebern mit, wenn ich zu einem Wettkampf reise. Das alles ist keine Selbstverständlichkeit. Ich weiß das sehr zu schätzen.“
Wo trainiert man diese Sportart? In Frankfurt findet Jahn im MAINTOWER nahezu perfekte Bedingungen vor. Immerhin 52 Stockwerke. Doch 300 Kilometer entfernt vom Wohnort München. „Ich verbringe zahlreiche Wochenenden in Frankfurt. Das ist aufwendig, zeitlich und finanziell.“ Mittlerweile darf er auch in München ran. In den 28 Etagen der HighLight Towers wundert sich heute keiner mehr, wenn er völlig außer Puste um die Kurve jagt, verschwitzt, in Trainingshose, während andere im feinen Zwirn gerade aus dem Aufzug steigen. Heute ist man stolz auf ihn. Der verrückte Kauz ist eine Art Maskottchen dort geworden.
Flieg, Matthias, flieeeeeeeg!