Berge hoch zwei
Wie geht es euch, Ralf? Wie war der Sommer?
Ralf Unser Sommer war eine gute Mischung aus Klettern, Unterwegs sein und Arbeit. Wir waren in der Cordillera Huayhuash in Peru und haben dort eine wunderschöne Trekkingtour meiner früheren Firma geleitet. Das hatte ich meinem Nachfolger Dominik Müller noch zugesagt. Wieder zu Hause haben wir beide unsere Vorträge aktualisiert und unser Buch 2x14 Achttausender finalisiert. Das private Highlight unseres Sommers waren ein Kletterurlaub mit meiner Tochter und Freunden im Tessin und schließlich einige Klettertage mit Albert Precht auf Kreta. Der hat dort 80 alpine Routen zwischen 4 und 12 Seillängen eingerichtet. Die Kombination aus Badengehen und Klettern haben wir beide sehr genossen.
TV Auftritte, Ehrungen, Titel „Adventurer of the Year 2012“, eine eigene Kaltenbrunner-Briefmarke in Österreich ... Gerlinde, was bedeuten dir Ruhm und Ehre?
Gerlinde Der Titel „Adventurer of the Year 2012“ von National Geographic hat mich wirklich sehr gefreut. Diese Wertschätzung ist mir eine große Freude. Ja und das mit der Briefmarke ist so eine Sache. Irgendwie ist mir das eher unangenehm. Ich hatte darauf auch auf keinen Einfluss. In Deutschland, wenn mich nicht alles täuscht, kommt man erst posthum auf eine Briefmarke, oder?
Was ist daran so unangenehm?
Gerlinde Ich auf einer Briefmarke? Naja, ich weiß nicht. Das ist mir zuviel. Will man wirklich von jeder Briefmarke runtermachen?
Ralf (lacht) Und abgeschleckt werden?
Gerlinde (lacht) Was mich allerdings gefreut hat, ist, dass auch ein eigener Briefmarkenbogen herausgebracht worden ist. Mit je einer Briefmarke für jeden Achttausender. Wobei – jetzt so im Nachhinein – ist das alles auch rührend. Ich erhalte viel Fanpost aus Österreich. Und die meisten kleben meine Briefmarke drauf. Das sind dann schon sehr herzliche Gesten, die mich wirklich freuen.
Ralf Darf ich in diesem Zusammenhang etwas erzählen, weil es einfach eine so schöne Begegnung mit Gerlindes Freunden, Fans oder einfach mit Bergsport-begeisterten Menschen war?
Nur zu!
Ralf Die Bergrettung Windischgarsten hatte uns angefragt, ob wir nicht einmal einen Openair-Vortrag halten können.
Gerlinde Draußen, unter freiem Himmel, irgendwo in den Bergen, einmal einen Vortrag zu halten, spukte mir schon länger im Kopf herum. Die jungen Burschen haben das dann tatsächlich auf die Beine gestellt. Bei mir zu Hause in Spital auf einer Alm auf 1.800 Metern. Und stell dir vor: 1.600 Menschen sind abends eine Stunde zu unserem Vortrag gewandert!
Ralf Eine Leinwand, 20 Meter breit, 10 Meter hoch, der stärkste Beamer, der in Österreich aufzutreiben war. Das war klasse!
Gerlinde Bei mir zu Hause auf der Alm, zwischen meinen beiden Hausbergen, dem großen und kleinen Pyhrgas, eine Vollmondnacht – echt, ich habe mich noch nie so auf einen Vortrag gefreut wie auf diesen. Warte, da muss ich dir Fotos zeigen! Ralf, hast du sie auf deinem Handy? Siehst du das? Die Leute hatten Decken dabei, Schlafsäcke, Tee und Jause. Es gab Glühwein und Bier. Eine sternenklare Nacht, bitterkalt. Im Hintergrund die Bilder vom K2. Das war sehr schön.
Ralf Zu ihrem 14. Achttausender wollte ich Gerlinde ein besonderes Geschenk machen und habe tags darauf den Trentiner Bergsteigerchor für sie gebucht. Der ganze Chor ist angereist und hat im Dom von Spital an der Pyhrn ein Konzert gegeben.
Euer Buch „2x14 Achttausender“ hast du geschrieben, Ralf. Auch habe ich den Eindruck, dass die meiste Kommunikation, auch jene, die Gerlinde betrifft, über dich läuft. Korrigiert mich, wenn ich falsch liege.
Ralf Richtig, die Texte für das Buch habe ich in Abstimmung mit Gerlinde geschrieben. Und ja, ich bearbeite einen Großteil der Medienanfragen. Gerlinde hat kein Sitzfleisch und bleibt nie länger als maximal 1,5 Stunden vor dem Computer. Das ist der Grund.
Heißt, dass Ralf – zumindest nach außen – den Ton angibt?
Gerlinde Wir sind ein Team. Ich bin deutlich zurückhaltender als Ralf und bei weitem nicht so gut strukturiert wie er. Ralf antwortet sehr prompt auf Anfragen aller Art. Ich hingegen lass das eher ein bisschen schleifen. Ralf ist gewissenhafter. Und manchmal, da muss ich den Ralf auch ein bisserl bremsen.
Das heißt?
Gerlinde (lacht) Bei mir muss man auch mal eine ganze Woche warten, bis ich mich melde. Ich will mich einfach nicht so unter Druck setzen lassen. Daher antworte ich z. B. nicht aus dem Basislager einer Expedition, sondern erst, wenn ich zu Hause bin. Wenn man jederzeit erreichbar sein muss, schränkt einen das ja auch wahnsinnig ein.
Journalisten schätzen die prompten Antworten von Ralf.
Gerlinde Das ist ja genau der Punkt. Ohne Ralfs Unterstützung wäre ich wahrscheinlich nicht da, wo ich heute bin. Dafür bin ich auch dankbar. Das hat viele Vorteile, aber manchmal bremse ich ihn eben auch. Er hat ja für sich selbst auch genug zu tun. Da muss er nicht auch noch meinen Kram übernehmen.
Ralf Als Inhaber der Agentur AMICL alpin war ich es viele Jahre gewohnt, rasch zu antworten. Wenn ein Kunde anfragte, mussten die Unterlagen am nächsten Tag raus. Ich bin das so gewohnt.
Wie ist das für dich als Mann, Ralf – deine Frau ist populärer als du? Hast du Probleme damit?
Ralf Gerlinde ist unumstritten erfolgreicher und populärer als ich. Das sehe ich aber sehr entspannt. Ich bin ein Mann und die Leistungen, die ich erbracht habe, haben auch etliche andere Männer erbracht. Ich habe mich nie als den super Bergsteiger gesehen. Außerdem komme ich aus einer Familie, in der Gleichberechtigung groß geschrieben wurde. Durch die Eiger-Live-Geschichte, weiß ich aus eigener Erfahrung, wie anstrengend die große Öffentlichkeit sein kann. Kurzum: Ich freue mich für Gerlinde, gönne es ihr. Keinerlei Neid. Im Gegenteil. Heute Mittag z.B. musste Gerlinde hier in Banff zu einem Interview. Und ich? Hatte über drei Stunden Zeit für mich, konnte lesen und mir in aller Ruhe einen Festival-Film anschauen.
Gerlinde Jetzt stapelst du aber tief, Ralf! Du bist supergut strukturiert. Auch in den Bergen. Das geht schon damit los, dass du einen unglaublich guten Orientierungssinn hast. Außerdem ist deine Vorbereitung immer akkurat. Du bist überaus erfahren und bestens organisiert. Das alleine hebt dich ab von anderen Bergsteigern.
Hast du, Gerlinde, in Sachen Logistik bei Expeditionen von Ralf profitiert?
Gerlinde Das schreiben die Medien ja sehr gerne und ich habe kein Problem damit, das auch so zu unterschreiben, möchte aber doch betonen, dass ich, bevor ich Ralf kennen gelernt habe, meine Expeditionen auch schon ganz gut auf die Reihe bekommen habe. Viel wertvoller empfinde ich Ralfs mentale Unterstützung. Ihn in meiner Nähe zu wissen, tut mir gut. Selbst, wenn er nicht mit auf dem Berg, sondern vielleicht im Basislager ist. Auch wenn er mich zu Terminen begleitet, ist das eine große Unterstützung. Für uns beide passt das so einfach gut. Wir sind ein Team und halten in allen Belangen zusammen.
Ralf Mittlerweile ist es auch so, dass wir zahlreiche Anfragen für gemeinsame Vorträge bekommen. Diese ziehen wir den Einzelvorträgen etwas vor, ganz einfach, weil wir dann nicht so lange getrennt sind. Das ist doch logisch. Es ist, wie bei jedem anderen Paar auch, einfach angenehmer gemeinsam unterwegs zu sein. Hat einer mal einen schlechten Tag oder einen Hänger, fängt der andere das ganz einfach ab. Außerdem hören wir immer wieder vom Publikum, wie interessant es ist, zwei Sichtweisen zu bekommen.
Gerlinde, die 14 Achttausender haben 13 Jahre deines Bergsteigerlebens strukturiert und ausgefüllt. Seit 2011 ist das Projekt erfolgreich abgeschlossen. Fällt man danach in ein Loch?
Gerlinde Die 14 Achttausender haben mich geprägt und natürlich eine Zeit lang auch mein Leben als Bergsteigerin strukturiert. Dass das Projekt seit letztem Jahr abgeschlossen ist, empfinde ich als Erleichterung. Daher ein klares Nein: Ich bin in kein Loch gefallen! Dass, vor allem der K2, nach so vielen Versuchen ein gutes Ende für mich hatte, ist auch eine Art Erlösung. Dieser K2, der hat schon sehr viel Raum in unserem Leben eingenommen. Danach, ganz ehrlich, da schnaufst du tief durch. Endlich geschafft!
Erwarten die Leute jetzt sehr viel von dir?
Gerlinde Ich habe nie Leistungsdruck oder Erwartungen von außen gespürt. Auch jetzt nicht. Die Ziele gehen einem ja nicht aus, nur weil man alle 14 Achttausender geschafft hat. Jetzt können wir z. B. endlich nach Alaska gehen. Pläne dieser Art gab es schon immer, aber – das ist schon richtig – erst wollte ich den K2 zu einem Abschluss bringen. So gesehen war ich schon fokussiert auf die 14 und bin auch froh darüber, sie geschafft zu haben. Wer weiß, ob ich in 3, 4 Jahren körperlich noch so fit wäre, um das zu meistern. Jetzt beginnt eben ein neuer Abschnitt mit neuen Zielen. Es werden aber weiterhin hohe Berge sein. Offensichtlich brauche ich diese andere Dimension. Mir geben die hohen Berge einfach Kraft.
Beim diesjährigen International Mountain Summit in Brixen haben an die 100 Personen eine Wanderung für € 80,00 mit euch gebucht. Wie ist das mit zahlenden Fans auf Tuchfühlung zu gehen? Pflicht oder Bereicherung?
Gerlinde Dass man € 80,00 dafür zahlen musste, wusste ich nicht. Ehrlich. Ich dachte, das war eine Art Kombiticket, Vortrag plus Wanderung. Als ich am frühen Morgen die vielen Leute sah, war ich schon sehr überrascht und fragte mich, wie das jetzt gehen soll. Aber der Tag war dann richtig klasse. Wir hatten traumhaftes Wetter, sind auf die Kassianspitze gewandert und hatten Spaß. Ein Vergnügen war das, keine lästige Verpflichtung. Ich bin doch gerne in Kontakt mit anderen Leuten. Man soll ruhig spüren und erleben, dass wir ganz normale Menschen sind.
Ralf Wir treffen auch sonst manchmal auf „Fans“. Auf Expeditionen kommen gelegentlich ganze Trekkingtruppen im Basislager vorbei, um die Gerlinde zu besuchen. Auch nach den Vorträgen verschwinden wir nicht etwa hinter der Bühne, sondern bleiben im Saal bis alle Fragen und Autogrammwünsche erledigt sind. Aber jetzt muss ich noch einmal nachhaken. Haben die Leute echt € 80,00 dafür bezahlt? Das kommt mir schon viel vor, oder?
Naja, da waren ja auch der Transfer und die Bergführer inklusive. Und euch beide gab’s schließlich obendrein.
Gerlinde Also ich sehe das gelassen. Wie bei jedem anderen Festival auch, muss das ja alles irgendwie finanziert werden. Und bei manchen Leuten kommen eben ein bisserl mehr Menschen als bei anderen. Dafür kann man beim IMS in Brixen auch Top-Bergsteiger oder Kletterer aus dem Ausland antreffen, die in den deutschen Medien nicht so stark vertreten, also auch nicht so bekannt sind, aber zu den Besten ihrer Zunft zählen. Ich finde das gut. Außerdem, das möchte ich auch sagen, haben wir beide nach dem IMS ungewöhnlich viele Emails erhalten. So ein Tag bedeutet den Menschen viel. Und Menschen eine Freude zu bereiten, ist etwas Schönes. Ich zehre davon. Mich berührt das.
Mit Google „Insights for Search“ kann man nachweisen, wann dein Name am häufigsten in die Suchmaschine eingegeben wurde. Im Mai 2007, August 2010 und August 2011 war dies der Fall. Heißt: Die Tragödien, die du am Dhaulagiri und am K2 erlebt hast, haben dich – neben deinem Erfolg am K2 – populär gemacht. Tragödien verkaufen sich gut. Dein diesjähriger Erfolg am Nuptse blieb – außer in den Bergmagazinen – mehr oder weniger unkommentiert.
Gerlinde Dieses Tool kenne ich gar nicht. Interessant. Ralf schau mal schnell nach! Als ich 2007 am Dhaulagiri war und meine spanischen Kollegen in einer Lawine ihr Leben verloren haben, war Ralf zeitgleich am Manaslu erfolgreich. Darüber hat niemand berichtet. Es gab nicht eine einzige Meldung dazu. Alle haben nur über mich geschrieben.
Ralf In jedem Menschen, auch in uns, steckt eine gewisse Gier nach Sensationen und nach Tragödien.
Gerlinde Dass mich die Tragödien ein Stück weit populärer gemacht haben, ja, was soll ich sagen, dagegen kann ich nichts tun. Da habe ich keinen Einfluss darauf. Das ist einfach so. Bedauerlicher Weise.
Gesetzter Fall, Gerlinde, du könntest dich jetzt auf der Stelle auf einen der 14 Achttausender beamen. Auf welchem würdest du stehen?
Gerlinde Klare Sache. Ganz eindeutig: In die Abendstimmung auf den K2. Und zwar mit Ralf. Die Stimmung da oben, war das Allergroßartigste, was ich bisher erleben und vor allem spüren durfte. Es ist schwer zu beschreiben, denn das war ein Erlebnis auf einer völlig anderen Ebene. Da oben, im schönsten Abendrot, alles friedlich, so schön, so intensiv, so . . .
Klingt nach einer höchstspirituellen Angelegenheit. Eine Art „Erleuchtung“?
Gerlinde (lacht) Wenn ich jetzt „Ja“ sagen würde, erklären mich alle für verrückt. Daher möchte ich es dabei belassen, dass es ein sehr schönes, intensives Erlebnis war gekoppelt mit starken Gefühlen. Auch im Aufstieg gab es Momente dieser Art bereits mehrmals.
Ich habe übrigens extrem mitgefiebert, die Newsletter, die Ralf aus dem Basislager verschickt hat, verschlungen. Und die Bilder erst! Das war schon sehr spannend.
Gerlinde Ich hab ja nicht mitbekommen, dass Ralf Nachrichten und Bilder verschickte. Die Fotos, die Ralf von uns im Aufstieg gemacht hat, habe ich erst zu Hause gesehen. Mir war auch nicht bewusst, dass Ralf uns durch ein Spezialfernrohr sehen konnte. Als ich gegen 17 Uhr auf den Gipfelgrat gekommen bin, schaltete ich das Funkgerät ein, um mich kurz bei Ralf zu melden. Dann sagt er: „Gerlinde heute schafft ihr das! Ganz viele Leute sind bei euch.“ Und ob du es glaubst oder nicht, das hat mich getragen. Mir hat das unheimlich viel Kraft gegeben. Überhaupt war Ralf im Basislager für uns eine extrem große Stütze. Manchmal glaube ich, das hat alles so sein müssen.
Warst du eigentlich traurig Ralf, diesen besonderen Moment nicht mit deiner Frau teilen zu können?
Ralf Es wäre eine Lüge, wenn ich jetzt Nein sagen würde. Aber ich glaube es war besser so. Ich hatte mit der akuten Lawinengefahr zu Beginn des Gipfelaufstiegs bereits eher negative Energien aufgebaut. Wäre ich nicht umgekehrt, hätte sich dieses Gefühl eventuell auf die anderen übertragen. Außerdem war ich über Funk ja gewissermaßen angeschlossen. Ich war derart nervös und unruhig, dass ich mich irgendwie beschäftigen musste. Etwa 25 Minuten vom Zelt entfernt, hatte ich einen Platz gefunden, an dem ich Emails empfangen konnte. Es kamen endlos viele rein.
Gerlinde Am Gipfeltag hatte ich 3 Millionen Besucher auf meiner Website und insgesamt 17 Millionen Hits im Netz. Das muss man sich einmal vorstellen!
Ralf Gerlinde, schau mal! Ich habe deinen Namen jetzt mal auf diesem Search Tool bei Google eingeben. Das ist ja der Hammer. Tatsächlich, das Lawinenunglück am Dhaulagiri und die Tragödie am K2 haben enorme Ausschläge. Wobei, wenn man ganz genau schaut, ist der Peak nach dem K2-Erfolg doch leicht höher.
Gerlinde (lacht) Ralf, ich bin doch gerade am K2, mitten in der schönen Stimmung, bei all den Menschen, die mitgefiebert haben und jetzt kommst du mit diesen Kurven daher. Das glaub ich jetzt nicht…