Carven im Kaftan
Einmal im Jahr richtet der Skiclub Bamiyan sogar ein Rennen aus. Anlässlich der Premiere entstand der Dokumentarfilm „1st Afghan Skichallenge“. Dieser Film wurde beim 37. Banff Mountain Filmfestival in der Kategorie „Best Film on Mountain Sport 2012“ ausgezeichnet. Johanna Stöckl traf den Produzenten und Kameramann Hans Urs Bachmann in Banff zu einem Interview.
In Afghanistan ein Skirennen zu veranstalten, wer kommt auf so eine Idee?
Ich lieferte nur den Film, hatte aber nicht die Idee. Diese stammt von Christoph Zürcher und Daniel Hug. Daniel und Christoph arbeiten als Journalisten bei der Neuen Züricher Zeitung am Sonntag. Daniel leitet den Ressort Wirtschaft und Christoph die Gesellschaft.
Wie ist die Idee entstanden?
Christoph Zürcher war über seinen Job vor ein paar Jahren in Kabul. Als sein Rückflug storniert wurde, war er gezwungen drei Tage länger in Afghanistan zu bleiben. Um dem Krieg zu entfliehen, riet ihm ein Guide nach Bamiyan zu fahren. Dieses Hochtal in Afghanistan blieb seit nunmehr zehn Jahren vom Krieg verschont. Christoph reiste also dort hin und war angetan von der Schönheit und Unberührtheit der Landschaft. Die tief verschneiten Berge haben es ihm, einem passionierten Skitourengänger, besonders angetan. Es war natürlich nicht möglich vor Ort Skiausrüstung zu leihen. Skifahren – das kannte man dort nicht. Somit war die Idee geboren. Christoph Zürcher hatte die Vision mit den Einheimischen Skizufahren. Wieder zurück in der Schweiz begann er mit Recherchen und führte erste Gespräche. Gemeinsam mit seinem Kollegen Daniel Hug hat er das Projekt dann gestemmt.
Wie sind Sie ins Spiel gekommen?
Christoph und Daniel waren auf Sponsorensuche. Die Schweizer Outdoormarke Mammut sicherte eine Unterstützung zu, in dem sie Jacken, Mützen, Hosen etc. zur Verfügung stellte und fragte auch gleich an, ob man nicht eine Kurzdokumentation dazu drehen könnte. Als man mich kontaktierte, sagte ich zu.
Das Projekt hat Sie spontan angesprochen?
Als Bub hatte ich ein Buch über einen Jungen aus Afghanistan gelesen. Darin wurde erzählt, wie sich sein Leben mit dem Einmarsch der Russen 1979 in Afghanistan veränderte. In meiner kindlich, naiven Wahrnehmung habe ich dieses Buch idealisiert gelesen und war folglich glühender Mudschaheddin-Fan. Das waren für mich die Guten und die Russen die Bösen. Über dieses Buch hatte ich Afghanistan bereits als kleiner Junge in mein Herz geschlossen.
Sie sind zum Dreh über Kabul nach Bamiyan geflogen. Was waren Ihre ersten Eindrücke?
Kabul ist eine traurige Stadt. Der Krieg ist allgegenwärtig. Ich habe in Kabul nie in ein lachendes Gesicht schauen können. Stattdessen habe ich überall Männer mit Gewehren gesehen. Als Europäer, der noch nie einen Krieg erlebt hat, war ich stark beeindruckt von dieser Situation. Dann steigst du in Bamiyan aus dem Flieger und plötzlich ist alles friedlich und still. Du siehst die schneebedeckten Berge und atmest in der guten Luft regelrecht auf. Die Menschen lachen wieder. Es ist der totale Gegensatz zu Kabul. Und dennoch: Es ist auch Afghanistan. Keine 200 Kilometer von Kabul entfernt.
Wurden in Bamiyan nicht vor etlichen Jahren die berühmten Buddha-Statuen, ein UNESCO Weltkulturerbe, von den Taliban zerstört?
Das war im Mai 2001. Die letzten übrig gebliebenen Steine liegen jetzt nummeriert und archiviert in einem Lager zu Füßen der ehemaligen Buddhastatuen.
Nun aber zu Ihrem Projekt: Skifahren in Bamiyan. War es leicht, die einheimische Bevölkerung dafür zu begeistern?
Sagen wir es einmal so: Die haben nicht auf uns gewartet. Jawad, unser Verbindungsmann vor Ort, hatte wohl in seinem Freundeskreis herumgefragt, wer denn Lust hätte, Skifahren zu lernen. Vorerst wollten das nicht wirklich viele. Wir stießen verstärkt auf die Frage: „Was schaut denn für uns dabei heraus?“ Als das Organisationskomitee um Christoph Zürcher den Einheimischen täglich ein warmes Mittagessen zusichern, die Skiausrüstung in Aussicht stellen und den Hin- und Rücktransport ins „Skigebiet“ gewährleisten konnte, sah das schon anders aus. Das ist Afghanistan. Du weißt dort nie, was der nächste Tag bringt.
Das Ski-Equipment kam aus der Schweiz?
Ja, wie gesagt Schweizer Firmen Mammut, Scott, Fritschi Bindungen und Tissot haben das Projekt unterstützt. Am Ende wurde das Ski-Equipment komplett einem Hotelier, der sich damit einen Art Skiverleih aufgebaut hat, zur Verfügung gestellt. Einige Einheimische und Touristen nehmen mittlerweile Gebrauch davon.
Wie war der Schnee in Afghanistan?
An den Nordhängen der Drei- und Viertausender hatten wir am Vormittag traumhaft trockenen, fluffigen Pulverschnee. Tagsüber wird es dann allerdings, Afghanistan liegt auf der Höhe von Marokko, recht warm und der Schnee schwer.
Beim Screening Ihres Films in Banff wurde viel gelacht. Gefiel es den Männern, dass ein Film ihre Skianfänge dokumentiert?
Um ehrlich zu sein, nein. Das fand anfangs keiner besonders toll, aber nicht etwa, weil das humorlose Menschen wären. Man muss das differenzierter betrachten. Die Hazaras sind aus der Tradition heraus ein Volk der Bediensteten. Zumindest bis 1979 war das so. Sie sind ein Bergvolk, das in einer besonders abgeschiedenen Region Afghanistans lebt. Daher sind sie auch weniger entwickelt und gebildet. Heute ist es den Hazaras außerordentlich wichtig, nicht weiter unterschätzt oder belächelt zu werden. Vor allem die Jugend möchte ernst genommen werden und – wie andere junge Menschen auch – cool wirken. Aus diesem Grund war es für die Männer nicht einfach, sich bei etwas Filmen zu lassen, was sie eigentlich nicht können. Mir persönlich gefällt die Reaktion des Publikums gut. Wann erzeugen Bilder aus Afghanistan schon ein Lachen?
Da drängt sich die nächste Frage auf. Fuhren die Männer freiwillig in traditioneller Kleidung Ski?
Am allerersten Skitag erschienen fast alle in traditioneller Kleidung. Zwei Männer traten in Trainingsjacken an, waren also sportiv, westlich gekleidet. Am nächsten Morgen hatte jeder eine Sportjacke an. Die Männer wollten auf keinen Fall als die rückständigen Hinterwäldler dargestellt werden, sondern sich modern zeigen. Wir mussten sie schließlich bitten, zumindest für das Rennen, traditionelle Kleidung anzuziehen. Als man verstand, dass wir eine authentische Dokumentation drehen und niemanden der Lächerlichkeit preisgeben wollten, haben die Männer zugestimmt, sind in der Gruppe zum Schneider gegangen und haben sich einheitliche, einfarbige Uniformen nähen lassen.
Heißt, in Bamiyan ist man über die hohen Berge hinaus durchaus mit der Welt verbunden?
Man hat dort zwar nicht viel, aber die meisten Fernseher verfügen über Satellitenempfang. Die Jugend Afghanistans sieht amerikanische TV Serien. Die wissen also ganz genau, was los ist und wie es außerhalb Afghanistans auf der Welt aussieht. Die sind up to date und sind sich daher bewusst, wie rückständig – im Vergleich zu uns– ihr Leben ist.
Wie viele Tage hat es gedauert bis die Männer solide auf Skiern stehen und eine Abfahrt, ein Skirennen absolvieren konnten?
Sechs Tage, wie in jedem anderen Anfängerskikurs auch. Da es weder einen Lift noch eine präparierte Piste gibt, sprechen wir ja eigentlich Skitourengehen bzw. einem Freeride-Rennen. Uns begleitete daher ein Schweizer Skilehrer und Bergführer, der den Einheimischen nicht nur das Skifahren beigebracht, sondern sie auch in Lawinenkunde unterrichtet hat.
Wir verwenden die Berge als Spielwiese, um Sport zu treiben, uns zu vergnügen. Wie steht man in Afghanistan zu den Bergen?
In Bamiyan schätzen die Menschen die Berge vor allen Dingen, weil sie ihnen den Krieg ein Stück weit ferngehalten haben. Oder, weil aus den Bergen im Frühjahr reichlich Schmelzwasser kommt, um die Gärten zu bewässern. Die Berge als Spielwiese zu betrachten, ist den Menschen fremd. Daher war es denn Skianfängern anfangs unheimlich auf einen Berg zu steigen, um dann abzufahren. Nach ein paar Tagen allerdings dominierte der Spaß. Im Grunde genommen war jeder Aufstieg für die Beteiligten eine Erstbegehung. Keiner stand je zuvor so hoch oben. In Afghanistan sieht man die Berge weder sportlich, noch wissenschaftlich oder technisch. Man hat dort einen mythologischen, spirituellen Zugang zu den Bergen. Schneeleoparden, Wölfe und andere wilde Tiere in den Bergen sind die ominösen Gefahren, mit denen man sich in Afghanistan auseinandersetzt.
War es nötig, den Menschen unser Verständnis von Bergfreuden beizubringen? Anders gefragt: Sie haben jetzt einen preisgekrönten Film in der Tasche. Was hat Bamiyan von dieser Aktion?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Ab wann betrachtet man eine Aktion als wertvoll oder gelungen? Unser Projekt hat den zehn Männern auf alle Fälle eine abwechslungsreiche, gute Zeit beschert. Die drei Bestplatzierten haben eine Schweizer Uhr gewonnen, was für sie einen enormen Wert hat. Wir haben einigen Menschen etwas gezeigt, was ihren ganzen Ehrgeiz geweckt hat. Dieser Event wird dann wertvoll, wenn man ihn über die Jahre betrachtet. Es hat bereits 2012 ein zweites Skirennen stattgefunden und es wird hoffentlich im März 2013 ein drittes Mal stattfinden. Mittlerweile ist ein italienischer Skilehrer über eine andere Foundation fix in Bamiyan stationiert und gibt dort Skikurse. Er fährt mit seinem Truck über die Dörfer und trommelt Kids zusammen, die Skifahren wollen. Außerdem sind mittlerweile internationale Starter bei „unserem“ Rennen willkommen. Wer also teilnehmen will, kann sich über die Website anmelden. Im Idealfall entsteht über die Jahre ein sanfter Skitourismus in der Region. Das Leben der Einheimischen konnten wir aber nicht gravierend verbessern. Das ist klar.
Kann Ihr Film etwas bewegen bzw. was hat Sie in Bamiyan bewegt?
Mir war das Thema Hoffnung in diesem Film sehr wichtig. Die Tatsache, dass er überhaupt entstehen konnte, beruht darauf, dass die Menschen sich trauten, etwas Neues anzugehen, sich auf Unbekanntes einzulassen. Dieser Neuanfang birgt Hoffnung in sich. Ich wollte ein Bild von Afghanistan zeigen, das jener Wahrheit entspricht, die ich in Afghanistan gesehen und erlebt habe. Ich habe meinen Fokus auf etwas gerichtet, von dem ich glaube, dass es die Menschen außerhalb Afghanistans berührt. Menschen, die etwas lernen wollen und ehrgeizig sind. In der Berichterstattung über Afghanistan, die sich ja auf Krieg beschränkt, wird das total vergessen. Wir hören nur: Terror, Zwangsheirat, Folter, Taliban, Fanatismus und Fundamentalismus. Von der Stärke, Menschlichkeit und Hoffnung in Afghanistan erzählt man sich keine Geschichten.
Wie verzweifelt, vom Krieg gezeichnet, sind die Menschen in Bamiyan?
Die Provinz Bamiyan ist seit 2001 vom Krieg verschont geblieben. Verzweifelt ist dort niemand. Die Menschen sind sehr stark, wollen Fortschritt und öffnen sich. Der Distrikt Bamiyan hat mit Habiba Sarabi als einzige Provinz Afghanistans eine Gouverneurin. Das erklärt schon viel.
Ihr Film war erfolgreich bei zehn Filmfestivals nominiert. Kritiker des Projekts sprechen von einer als Entwicklungshilfe getarnten dekadenten Egonummer westlicher Journalisten bzw. Dokumentarfilmer. Was sagen Sie dazu?
Auch dieser Blickwinkel geht für mich in Ordnung. Ich kann Kritik dieser Art bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. Muss man in Afghanistan Skifahren? Muss man nicht. Natürlich ruft ein solches Projekt automatisch vehemente Kritiker auf den Plan. Aber es hat auch zahlreiche positive Punkte, die man hervorheben kann. Wenn es dieser Event schafft, jährlich stattzufinden, dann profitiert die Bevölkerung auch langfristig davon. Für mich persönlich hat sich das Projekt in jedem Fall gelohnt. Es war ein einzigartiges Erlebnis.
Hans-Urs Bachmann
Hans-Urs Bachmann (39) lebt in Zürich. Seine filmische Ausbildung absolvierte er in Barcelona. Seit 2010 ist er Geschäftsführer der VAMOS! Film GmbH und dort als Produzent, Regisseur und Kameramann tätig. Sein erster Dokumentarfilm „1st Afghan Skichallenge“ wurde beim 37. Banff Mountain Filmfestival, einem der renommiertesten Berg- und Abenteuerfilmfestivals in der Kategorie „Best Film on Mountain Sport 2012“ ausgezeichnet.