Eine Frage des Stils
Müdigkeit oder Stress sieht man Ines Papert (37) an diesem Freitagabend nicht an. Die Profialpinistin strahlt. Dennoch: „Heute ist der vorletzte Tag beim Festival. Ich habe recht anstrengende Tage hinter mir.“ Gestern war Gerlinde Kaltenbrunner im Hauptabendprogramm. Mit ihr und Ehemann Ralf Dujmovits sei es spät geworden. Man sehe sich schließlich nicht so oft.
Eine Woche vor Beginn des Festivals war sie noch im Tessin beim Klettern. Erfolgreich. Am 26. April gelang ihr die Wiederholung der 9 Seillängen Route „Super Cirill“ an der Parete di Sonlerto, einer der schwierigsten frei kletterbaren Routen im Tessin. Rotpunkt und clean, abgesehen von ein paar notwendigen Bohrhaken. Ob das überaus kompakte Programm ihr nicht zu heftig sei? „Natürlich ist es phasenweise schwierig, alles unter einen Hut zu bekommen, aber es ist ja mein freier Wille“ grinst sie und fährt fort „Manchmal glaube ich diesen Stress zu brauchen. Nach dem Festival lasse ich es aber dann ein paar Tage ruhiger angehen.“ Obwohl: Die „ruhigen“ Tage zu Hause im Bayerisch Gmain würde sie auch dazu nutzen, um am neuen Vortrag „In Eis und Fels“ zu arbeiten, mit dem Papert ab Herbst an den Start gehen wird und um ihr Buch zu aktualisieren, das in eine Neuauflage geht.
Die Brüder Favresse und Teamkollege, Landsmann Sean Villanueva tanzen mittlerweile barfuss im Foyer der altehrwürdigen Konzertrotunde in Bad Reichenhall. Da grinst die Gastgeberin: „Diese Burschen sind einfach super. Ich bin richtig glücklich, dass sie meiner Einladung gefolgt sind. Für ihre Grönland-Expedition im Sommer 2010 haben sie kürzlich völlig zu Recht den Piolet d’Or erhalten.“ Bei diesem Thema kommt Papert ähnlich wie die belgischen Kletterfreaks auf der Tanzfläche so richtig in Fahrt: „Das muss man sich einmal vorstellen! Die eröffnen an der Westküste Grönlands neun Alpinrouten und hinterlassen dabei nur einen einzigen Bohrhaken! Davor habe ich großen Respekt.“
Der Stil des Clean Climbings entspricht offensichtlich der Bergsteigerethik, die auch Papert bei ihren Kletterprojekten mehr und mehr verfolgt. Auf ihrer Website liest sich das in einem Beitrag über ihre Kletterreise nach Schottland im Winter 2011, bei der ihr Erstbegehungen am Ben Nevis und in den Cairngorms gelangen, so:
„Meine Erlebnisse in Schottland haben meine Einstellung zum Klettern im bohrhakenfreien Stil nachhaltig beeinflusst. Ich werde meinen Fokus mehr und mehr auf das Klettern in diesem traditionellen Stil richten. Nicht nur in den Alpen, auch an den großen Bergen der Welt, reizt mich besonders dieser saubere Stil beim Klettern.
Abschließend: Wir so genannten Alpinkletterer sollten die Bohrhakenfrage noch einmal überdenken. Routen einzubohren, macht manchmal Sinn, aber eben nicht immer. Mir ist es ein Anliegen, dass wir uns in den Alpen am Stil der Schotten orientieren und alpine Routen möglichst im traditionellen Stil erstbegehen. Das heißt für mich: von unten einsteigen und sparsam mit Bohrhaken umgehen! Das sind wir doch den nächsten Generationen schuldig, die das Abenteuer in den Bergen suchen.
Wer sich dann hauptsächlich mit mobilen (und fragilen) Sicherungen durch Fels und Eis wagt, braucht mehr als Muskelkraft und Können: „Man muss nicht nur körperlich, sondern vor allem mental stark sein. Das ist eine Entwicklung über Jahre.“ Im gleichen Atemzug hebt Papert die Kletterpartner hervor und bittet ausdrücklich darum, dies zu erwähnen: „Wenn du im traditionellen Stil klettern willst, dann brauchst du wirklich gute Partner.“ In der „Kärntner Wundertüte“ wie die allein erziehende Mutter den Österreicher Charly Fritzer auf ihrer Website nennt, hat sie offensichtlich einen solchen gefunden: „Er ist ein wirklich starker, motivierter und obendrein sehr lustiger Kletterpartner. Sowohl in Schottland als auch jetzt im Tessin war er ein Schlüssel zu meinem Erfolg.“ Er hätte ihr immer Mut gemacht, ihr gerade dann Überzeugungskraft eingeimpft, wenn diese in einer Route bei ihr zu schwinden drohte und brachte seine Unterstützung im Tessin mit folgendem Satz zum Ausdruck: „Ines, ich fahre sowieso erst heim, wenn du es geschafft hast! Also gib Gas!“
Sie lacht herzhaft und erklärt, dass Charly sie auch im kommenden August nach Kirgistan begleiten wird, wo die Erstbegehung der Süd-Ost-Wand am 5.842 Meter hohen Mount Kyzyl Asker ansteht. Ein Projekt, dass im Herbst 2010 nach zwei Versuchen nur 200 Meter unterhalb des Gipfels an anhaltendem Schlechtwetter scheiterte. Im Sommer wird sie es erneut in Angriff nehmen und klingt dabei recht zuversichtlich: „Ich bin reich an Erfahrung aus dem letzten Jahr. Wir wünschen uns so sehr, diese Route bis zum Gipfel zu klettern.“ Das hätten bisher schon zahlreiche Expeditionen ergebnislos versucht. Das mache den Reiz zwar größer, bedeute aber nicht, dass sie bereit sei ein unnötiges Risiko einzugehen.
Spannend wird diese Expedition auch vor einem anderen Hintergrund. Sohn Emanuel wird seine Mama erstmals auf einer Expedition begleiten und bis ins Basislager mitkommen: „Manu ist alt genug, um ihm einen Einblick in meinen Beruf zu gewähren. Ich freue mich sehr darauf, ihm meine Welt zu zeigen.“ Dass er nicht während des gesamten Projektes vor Ort ist, versteht sich von selbst. Und so wird Emanuel nach zwei Wochen wieder mit Ines’ Freund Wolfi nach Hause fahren, während es für Papert und ihr Team ernst wird.
Nicht nur auf der topaktuellen Website, sondern auch auf dem Facebook Account von Ines Papert kann man alle Aktivitäten der Allrounderin nachlesen. Und manchmal sogar – beinahe live – über einen Blog aus dem Basislager mitfiebern. Vermarktung eines Profis um jeden Preis? „Das gehört in der heutigen Zeit für mich einfach dazu. Ich bin diesen modernen Kommunikationskanälen gegenüber aufgeschlossen.“
Ohne PR Agentur im Hintergrund versucht sie auch in der Außendarstellung minimalistisch, aber effizient unterwegs zu sein und denkt dabei immer wieder über neue Wege in der Kommunikation nach. Über Facebook, Twitter oder eigene Inhalte für das I Pad könne sie schließlich viele Menschen über kurze Wege erreichen.
Apropos. Als Papert in Vorbereitung auf die Expedition zum Mount Kyzyl Asker am 7. September 2010 auf Facebook ein paar Bilder hinterlegte, die sie beim Packen und Materialsortieren zeigen, meldete sich prompt der Schotte Es Tresidder und „untersagte“ ihr, Bohrhaken mitzunehmen. „Innerhalb der Szene schaut man sich schon auf die Finger, was ich völlig richtig finde. Denn diese Wand verdient es nicht, mit Bohrhaken versehen zu werden. Unsere Vorgänger haben es schließlich auch ohne versucht.“
In Wahrheit war es so: „Ich hatte vier Bohrhaken im Gepäck, um damit eventuell im Basislager eine Slackline zu spannen. Aber auch für eine Rettungssituation könnten ein paar Bohrhaken unter Umständen von Vorteil sein.“
In diesem Moment kommt Nicolas Favresse mit zwei Alpenstoff in der Hand auf Papert zugetanzt. Schluss mit Quatschen? „Ja, jetzt wird gefeiert!“