Olympisches Gipfeltreffen

Sportreporter-Ikone Harry Valérien (87) gibt uns in Begleitung seines Schwiegersohnes, Profibergsteiger Stefan Glowacz (46), in der Bar München 72 die Ehre. In einem launigen Dialog, nicht zwingend einer Meinung, sprechen sie über die emotionalsten Momente 72, die Olympia-Bewerbung 2018, das Image Deutschlands und verraten uns, in welcher Disziplin sie gerne Olympiasieger wären.

Herr Valérien, wie intensiv verfolgen Sie die Bewerbung Olympia 2018?

Valérien Ich bin ein Befürworter der Olympia-Bewerbung 2018 und verfolge sie aufmerksam. Und zwar alle Argumente, pro und kontra. Bei den Fehlern, die sicherlich auch gemacht wurden, kann ich zum Teil die Entrüstung mancher Bauern in Garmisch-Partenkirchen nachvollziehen, ganz einfach, weil sie nicht von Anfang an eingebunden waren.

Wie beurteilen Sie die Chancen Münchens?

Valérien Ich denke, dass Pyeongchang eine gute Ausgangsbasis hat und alles versuchen wird, um im dritten Anlauf die Spiele nach Südkorea zu holen. Aber ich hoffe, dass München bzw. die Bewerbergesellschaft die restliche Zeit konstruktiv nutzt, um am 18. Mai eine perfekte Präsentation hinzulegen und das IOC in Lausanne vor der finalen Entscheidung voll überzeugt.

Herr Glowacz, Sie haben bis vor kurzem in Garmisch-Partenkirchen gelebt. Wie stehen Sie zu Olympia 2018?

Glowacz Ich bin gespalten. Für München wären Olympische Spiele toll. In Garmisch-Partenkirchen ist die Situation problematisch. Ich bezweifle, ob Garmisch das von der Infrastruktur her stemmen kann. Auf die Bewohner würden gewaltige Baumaßnahmen zukommen. Vom Thema Nachhaltigkeit ganz zu schweigen. Außerdem: Wie zeitgemäß sind Olympische Spiele überhaupt? Und: Müsste sich Garmisch im Zuge des Klimawandels nicht langfristig als Sommersportort positionieren?

Teilen Sie diese Meinung?

Valérien Tut mir leid, Stefan, diese Meinung teile ich nicht. Ich denke, wenn wir einmal vergleichen, was die Welt in Unordnung bringt, dann ist das, was in Garmisch passieren würde, dagegen regelrecht ein Klacks. Allerdings müssen die Verantwortlichen weiterhin alles daran setzen, alle kritikfähigen Punkte zu minimieren. Wenn wir den Zuschlag erhielten, hätten wir sieben Jahre Zeit, etwas zu bewegen, an den Schwachstellen zu feilen, diese zu minimieren oder im Idealfall ganz zu beseitigen. Das wird die Situation zwischen Befürwortern und jetzigen Gegnern in Garmisch-Partenkirchen völlig verändern. Und selbstverständlich wird etwas von diesen Spielen bleiben. So wie von den Spielen 1936 bedauerlicher Weise auch etwas geblieben ist.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Augenblick der Vergabe der Spiele in Ihre Heimat München?

Valérien Ich war, bereits für das ZDF tätig, in Rom bei der Vergabe der Spiele dabei und habe vor Ort auch den damaligen Oberbürgermeister Hans Joachim Vogel interviewt. Es war schon ein erdrückend heiterer Moment. Denn in München gab es ja damals kaum Voraussetzungen. Wir hatten praktisch keine geeigneten Sportstätten. Es fehlte an allem. Im Moment der Vergabe wurde allen bewusst, dass man von Grund auf planen und bauen muss. Dennoch war es fantastisch zu hören, dass München die Spiele ‘72 bekommt.

Verfolgen Sie Sport-Großereignisse?

Glowacz Ich bin zwar Bergsteiger, aber schaue natürlich über die Berge hinaus. Klar verfolge ich Großereignisse. Aus der Sicht eines Sportlers bin auch ich pro Olympia. Bleibt zu hoffen, dass es gelingt, die Schwachstellen zu beseitigen, etliche Korrekturen anzubringen, das Thema Nachhaltigkeit erfolgreich anzugehen. Von Sportgroßveranstaltungen gehen unglaubliche starke, völkerverständigende Impulse aus. Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland war ein riesengroßes Fest, hat das Image der Deutschen weltweit verändert. Deutschland wird seither deutlich positiver wahrgenommen. Das muss man sich einmal vorstellen!

Valérien Jetzt hast du aber manches zurückgenommen – oder sagen wir – korrigiert, Stefan. Das freut mich.

Glowacz Ich bin mir der positiven Wirkung entsprechender Sport-Großereignisse doch bewusst, Harry. Aber die Situation wie sie jetzt, vor allem in Garmisch-Partenkirchen, auf dem Papier steht, ist alles andere als befriedigend. Dabei bleibe ich.

Was waren die emotionalsten Momente der Spiele ‘72 aus sportlicher Sicht?

Valérien Weil ich Schwimmen kommentiert habe, war natürlich Mark Spitz, den ich zwei Monate zuvor, in dem Wissen, dass er der Star der Spiele wird, in Kalifornien besucht hatte, ein Highlight für mich. Er war in einer Topform. Wer ein bisschen in der Materie zu Hause war, und das war ich damals, der musste kein Prophet sein, um diese Erfolge vorherzusehen. Aber auch die Goldmedaillen von Klaus Wolfermann, Heide Rosendahl und Ulrike Meyfarth waren sehr bewegende Momente.

War die Entscheidung „The Games must go on“ richtig?

Valérien Im Rückblick war die Entscheidung richtig. Allerdings waren die Meinungen gespalten. Ich selbst war nach dem Attentat auch zerrissen.

Wissen Sie, wie viele Olympiabücher Ihr Schwiegervater geschrieben hat?

Glowacz (lacht) Von allen Olympischen Spielen, bei denen er dabei war, eines. Jetzt müsste ich nur wissen, wie oft er bei Olympia war.

Valérien Ich bin ein Gegner von Aufzählungen. Denn was haben diese Zahlen zu sagen? Ich müsste nachrechnen, ich glaube es waren 9 Bücher.

Die Zeltdach-Architektur des Olympiastadions sorgte weltweit für Aufsehen. Wie wirkte es damals auf Sie?

Valérien Ich war schlicht überwältig und fand die Konstruktion imposant. Imposant bis heute. Trotz enormer Kosten von 160 Millionen DM, wenn ich das richtig im Kopf habe, hat sich Oberbürgermeister Vogel sehr dafür stark gemacht, dass dieses Projekt verwirklicht wird.

Wie gefällt Ihnen das Olympiastadion?

Glowacz Es ist zeitlos schön, nach wie vor ungewöhnlich. Für die damalige Zeit extrem außergewöhnlich. Der Olympiapark ist heute eine Art München-Denkmal und eine Freizeitoase geworden. Die Sporthochschule ist dort angesiedelt. Nach wie vor wird dort aktiv Sport getrieben. Außerdem finden regelmäßig Sportgroßevents statt, Snowboard, Eishockey oder auch der Weltcup-Slalom. Das verstehe ich unter Nachhaltigkeit! Wenn aber, so wie es momentan in Garmisch aussieht, ein Großteil der Anlagen nach Olympia demontiert wird, was bitte bleibt dann für die nachfolgende Generation? Ist Garmisch dann nicht nur eine Fassade für Olympia?

Die Sprungschanze in Garmisch-Partenkirchen wird nur für das Neujahrsspringen genutzt. Wäre es nicht toll, wenn sie auch einen Olympiaeinsatz bekäme?

Glowacz Ich lebte ja bis vor kurzem mehr oder weniger direkt an dieser Schanze. So oft wie da einer runter gesprungen ist, das kann man tatsächlich an einer Hand abzählen. Freilich wäre es wünschenswert, wenn eine sündhaft teure Anlage wie diese eine regelmäßige Nutzung bekäme. Es gibt ohnehin Bestrebungen, dort künftig auch Sommerspringen durchzuführen.

Sie haben 1960 eine ehemalige norwegische Skirennläuferin geheiratet. Darf man fragen, wo Sie sich kennen gelernt haben?

Valérien Meine Frau war und ist noch heute eine sehr gute Skifahrerin, aber Rennläuferin war sie keine. Kennen gelernt haben wir uns am 7. Februar 1959 in Garmisch. Ich habe sie mit ihrer Mutter bei einem Spaziergang gesehen und wusste, das wird meine Frau!

Sie kannten Harry Valérien aus dem Fernsehen, lange bevor Sie sich in seine Tochter verliebt haben. Wie hat er damals als Sportreporter auf Sie gewirkt?

Glowacz Im Winter versammelte sich meine Familie jedes Wochenende, um die Skiübertragungen zu schauen. Ich war glühender Ingemar Stenmark Fan. Und wenn dann auch noch Harry Valérien kommentiert hat, waren das richtige TV-Ereignisse! Ein Genuss war das. Ich kann mich noch gut an die Abfahrt 1985 auf der Streif erinnern. Da hat es doch unseren Klaus Gattermann so brutal zerlegt. Und da hast du dich, Harry, geweigert weiterzukommentieren. Oder ein paar Jahre früher, ebenfalls beim Hahnenkamm-Rennen, als überhaupt nur die Hälfte der Fahrer ins Ziel kam, da hat Harry Valérien gesagt: „Unten feiern die Sieger und oben kämpfen sie ums Überleben.“ Das hat sich bei mir eingeprägt. Er war immer kompetent, hat die Dinge direkt angesprochen und auch seine Meinung gesagt. Harry hat mir voll imponiert.

Standen Sie mit Ihrem Schwiegersohn schon einmal auf einem Gipfel?

Valérien Bedauerlicher Weise nein, weil ich körperlich dazu gar nicht mehr in der Lage bin. Die Geschichten von Stefans Expeditionen höre ich mir aber unheimlich gerne an. In jungen Jahren ging ich in die Berge. Auf der Alpspitze stand ich am 22.6.1941. Das weiß ich wie heute. Als ich wieder im Tal ankam, hieß es, der Krieg gegen die Sowjetunion ist ausgebrochen.

Nachdem Sie den Olympischen Demonstrationsbewerb in Albertville 1992 gewonnen hatten, beendeten Sie das Wettkampfklettern. Hätten Sie damit weiter gemacht, wenn Klettern olympisch geworden wäre?

Glowacz Das ist so nicht ganz richtig. Es war ein reiner Präsentationsbewerb, um zu entscheiden, ob Klettern als offizieller Demonstrationsbewerb für Olympische Spiele zugelassen wird. Selbst wenn es so gekommen wäre, wäre ich dann definitiv zu alt gewesen. Aber grundsätzlich wäre ich als Sportler unheimlich gerne einmal in meinem Leben bei Olympischen Spielen dabei gewesen. Völlig egal in welcher Sportart.

Valérien Entschuldige, dass ich dich unterbreche, aber es gab früher sogar Olympische Medaillen in der Disziplin Bergsteigen. Die Gebrüder Franz und Toni Schmid haben 1932 die Goldmedaille für die Besteigung der Matterhorn Nordwand erhalten. 1936, wenn ich mich richtig erinnere, das Schweizer Ehepaar Dyhrenfurth für eine Himalaja-Expedition. Danach wurde für Bergsteigen keine Olympischen Medaillen mehr vergeben.

Glowacz Ja, damals ging es beim Bergsteigen noch stark um die nationale Ehre. Alpinismus wurde sogar zu Propagandazwecken missbraucht, was heute Gott sei Dank nicht mehr der Fall ist.

Was halten Sie von Veranstaltungen wie Weltcup Slalom am Olympiaberg, Biathlon auf Schalke oder Langlauf in Düsseldorf?

Valérien Anfangs war ich skeptisch. Aber wenn man sieht, wie begeistert die Zuschauer vor Ort sind, dann haben diese Veranstaltungen natürlich ihre Berechtigung. Warum denn auch nicht? Ich finde diese Entwicklung interessant und verfolge diese Bewerbe auch im Fernsehen.

Glowacz Die Frage ist, ob man bei den Olympischen Spielen 2018 nicht vielleicht sogar Bewerbe wie Snowboard-Halfpipe in München austragen könnte. Das würde sehr gut in ein urbanes Ambiente passen, oder Harry?

Valérien Da hast du Recht, Stefan. Wenn wir den Zuschlag bekämen, müsste einiges neu durchdacht werden. Außerdem könnten die Entscheidungsträger des IOC sogar bestimmte Forderungen aussprechen, denen man dann Folge zu leisten hat.

Welchen Sportevent würden Sie gerne noch einmal kommentieren?

Valérien Mein Gott, ist das eine schwierige Frage! Aber vielleicht das WM Finale Deutschland gegen England 1966 im Wembleystadion? Oder noch einmal Mark Spitz in München?

Und in Zukunft?

Valérien Das möchte ich nicht. Heute sitzen die Kommentatoren in ihrer Kabine vor zwei Monitoren. Auf einem läuft der Bewerb, auf einem zweiten stehen die gesamten Informationen zum Sportler. Was die Kommentatoren also heute erzählen, haben sie gar nicht intus, sondern lesen es ab. Wie willst du denn da Emotionen erzeugen?

In welcher Disziplin wären Sie gerne Olympiasieger?

Glowacz Schwierige Frage, … obwohl, ich wäre gerne Olympiasieger im Skifahren. Und wenn, dann gleich in der Königsdisziplin, also im Abfahrtslauf.

Und Herr Valérien?

Valérien Ich wollte immer Olympiasieger im Schwimmen werden. Ich habe mich zwar kämpfend bemüht, aber hatte kein günstiges spezifisches Gewicht für diesen Sport. Über den Münchner Meister im 100-Meter-Freistil bin ich daher nicht hinausgekommen. (Lacht) Aber fragen Sie mich jetzt bloß nicht nach der Zeit. Ich würde mich schämen, sie überhaupt zu nennen.

Sind Sie als junger Bub eigentlich Skirennen gefahren?

Glowacz Klar, ich habe alle Bewerbe mitgemacht, weil ich dann schulfrei hatte. Beim Skifahren gab es damals schon Kinder, die mit drei Paar präparierten Ski anrückten. Das war mir suspekt. Beim Rodeln allerdings war ich ambitioniert. Am Kranzberg in Mittenwald habe ich einmal bei einem Rennen die Tagesbestzeit aufgestellt. Später bin ich dann am Königsee im Rennrodeln sogar bayerischer Schülermeister geworden. Aber damals war ich bereits ein leidenschaftlicher Kletterer und habe mich dann für diesen Weg entschieden.

Sie haben das Aktuelle Sportstudio 283 Mal moderiert. Wie regelmäßig verfolgen Sie diese Sendung noch?

Valérien Nicht mehr so regelmäßig. Es kommt ja neuerdings erst um 23 Uhr. Ich warte doch nicht bis kurz vor Mitternacht um die Bundesligaergebnisse zu erfahren. Es gibt ja auch andere Kanäle. Außerdem sagt meine Frau immer: „Ich habe dir 25 Jahre lang samstags im Fernsehen zugeschaut, das muss jetzt auch einmal reichen.“