Halle-Julia
42.500 Höhenmeter in 21 Tagen!
Julia lief so weit sie ihre Beine trugen. Entlang der Via Alpina, einem Fernwanderweg, quer durch die Alpen. Für das Teilstück Lenggries-Chamonix sind im Bergführer 43 Etappen angesetzt, wenn man stramm geht und keine Ruhetage einlegt. Da Julia aber läuft, und zwar schnell, dachte sie, es müsste in 21 Etappen machbar sein.
Das Projekt hat ihr weder ein Sponsor vorgeschlagen, noch hat die 34 -jährige Sportlerin die Presse vorher informiert. „Der Ausgang war ja ungewiss.“ Also hat sie zur Vorsicht nichts gesagt und es „einfach mal probiert, als persönliche Challenge quasi.“ Ihr gefiel die Idee, wie in guten alten Zeiten ohne Auto oder Flugzeug nur den Körper als Fortbewegungsmittel zu nutzen. Und sie wollte wissen, wie ihr trainierter Body darauf reagiert.
Julia Böttger ist Trailrunnerin, das heißt sie läuft viel und gerne. Allerdings nicht auf Straßen, sondern in der freien Natur. Auf Forstwegen, Wanderwegen und Trampelpfaden. Kurzum: überall, außer auf Asphalt. Kommt sie dabei in alpines Gelände, ist das doppelt schön. Die Sportwissenschaftlerin ist gerne in den Bergen. Julia läuft für das „Salomon-Trailrunning-Team“ und gehört zu den Besten dieser Sportart. Bewerbe, in denen sie sich mit der Konkurrenz misst, tragen Namen wie z.B. „Ultra-Trail-Mont-Blanc“. Dass man beim UTMB 166 Kilometer rund um den Mont Blanc auf Hochgebirgswegen und über Pässe in circa 30 Stunden läuft, kann man sich kaum vorstellen. Dass „Trailschnittchen“ – diesen Spitznamen haben ihr Laufkollegen verpasst ¬– dies relativ locker stemmt und leidenschaftlich gerne tut, muss einem Respekt abringen.
Nun sind 166 Kilometer schon eine Wahnsinns-Strecke. Aber 814 Kilometer entlang der Alpen? In 21 Tagen?
Auf den ersten beiden Etappen und kurz vor der Zielankunft in Chamonix kamen ein paar Freunde, um sie zu begleiten. Sonst lief sie alleine. Größtes Problem, wenn Julia überhaupt eines hatte: der schwere Rucksack. Üblicher Weise läuft sie mit leichtem Gepäck, aber in diesem speziellen Fall musste sie Klamotten für alle Fälle dabei haben: Regen, Sonne, Hitze, Schnee. „Das war schwierig, ja. Ich hatte zwar trainiert mit Rucksack zu laufen, aber ohne läuft es sich definitiv leichter“, grinst sie. Ob sie irgendwann nicht Blasen an den Füßen bekommen hätte? Nein, dazu neige sie grundsätzlich nicht. Geschlafen hat sie, je nach Routenverlauf, oft auf Berghütten, manchmal, wenn sie ins Tal kam, auch in einer Pension. Auf die Frage, ob es nicht nervend war für eine Talquerung wieder alles an Höhe zu verlieren, was man sich zuvor erkämpft hat, sagt sie trocken: „Es hatte auf jeden Fall den Vorteil, dass ich auch einmal in einem Supermarkt schnell etwas einkaufen konnte.“
Ans Aufgeben hat sie nie gedacht. Nur einmal, am Klausenpass im dichten Nebel, bei Regen und null Grad mitten im August, da fragte sie sich kurz: „Wieso tust du dir das bloß an?“ Aber insgesamt – um im Bild zu bleiben – lief es gut. Und das, obwohl das Wetter phasenweise richtig mies war. „Es macht mir ja nichts aus im Regen oder bei Schneefall zu laufen, aber es war halt schade. Wenn du Jungfrau, Mönch und Eiger vor dir weißt, sie aber nicht einmal sehen kannst, dann ist das bitter.“ Dafür gab’s auch eine Parade-Etappe, jene nämlich als sie im Berner Oberland am „Hochtörli“ ankam. Da stimmte einfach alles: Wetter gut, Panorama klasse, Stimmung bestens, Beine frisch.
Was nimmt Frau Böttger, die man als Personal Trainerin buchen kann, mit von diesem Projekt? Die Schinderei hat sie nach drei Ruhetagen offensichtlich schon vergessen, denn sie strahlt: „Es war ein Wahnsinns-Erlebnis, so lange ganz alleine, mit und bei mir selbst zu sein. Einfach nur zu laufen, an nichts zu denken, das war großartig. Es fällt mir richtig schwer, mich wieder in den Alltag einzufinden.“
Einen Kaffee später steht sie auf. Sie müsse sich mal eben die Beine kurz vertreten. Das lange Sitzen, es fällt ihr schwer.