Himmelhoch abgrundtief
Prüfsteine der physischen Belastbarkeit. Begleitet wurden die „Huberbuam“, die seit dem Film „Am Limit“ weit über die Kletterszene hinaus bekannt sind, vom Schweizer Alpinisten Stephan Siegrist und dem Kameramann Max Reichel.
Ziel der Expedition ins Queen Maud Land waren die Gipfel der Drygalski Berge (Benannt nach dem 1949 im München verstorbenen Polarforscher, Erich von Drygalski). Wie nirgends sonst in der Antarktis, ragen dort Pfeiler und Türme wie Zähne aus dem Weiß. Diese „Nunataks“ (Sprache der Inuit: aus dem Eis ragender Gipfel) sind aber lediglich die Spitzen eines Gebirges, das zu zwei Dritteln von Eis bedeckt ist. Im Fokus der Expedition standen der „Ulvetanna“ (Wolfszahn, 2931 m) und der 8 km entfernte „Holtanna“ (Hohlzahn, 2650 m). Dort gelang 2001 einer internationalen Expedition nach einer Reihe von Schwierigkeiten schließlich eine Erstbesteigung über den Südpfeiler. Der Ulvetanna wurde bisher von 2 norwegischen Expeditionen bestiegen. Beide Gipfel wurden bisher nur mit hakentechnischen Hilfsmitteln erreicht.
Seien wir realistisch. Versuchen wir das Unmögliche! (Che Guevara)
Der Gipfel allein genügt den „Huberbuam“ nicht. Auf das „wie“ kommt es an. Ziel war es, völlig neue Routen an den glatten und brüchigen Big Walls des Holtanna und Ulvetanna unter Verzicht auf technische Hilfsmittel zu eröffnen, diese also bestenfalls frei zu beklettern. (Im Gegensatz zum „Free Solo“ ist man beim so genannten freien Klettern zwar über ein Seil gesichert, bewegt sich aber ausschließlich aus eigener Körperkraft nach oben.)
Ralf Dujmovits aus Bühl, 2001 Mitglied des Erstbesteigerteams des Holtanna Gipfels, zum kühnen Vorhaben:
„So schön diese Berge sind, bei Schlechtwetter verwandelt sich die Region in den Vorposten zur Hölle. Die abartige Kälte in dieser Mega-Gefriertruhe kostet enorm viel Kraft. Ich habe damals 8 Kilo in 7 Wochen abgenommen. Ohne technische Hilfsmittel am Holtanna zu klettern, erscheint mir aufgrund der Kälte unmöglich.“
Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode. (Shakespeare)
Die Antarktis ist die niederschlagärmste, windigste, und mit einem Jahresdurchschnitt von minus 55 Grad Celsius kälteste Region der Erde.
Geschützt nur durch Zelte und die eigens für diese Expedition von Adidas entwickelte Hightech Kleidung, waren die 4 Männer wochenlang auf sich alleine gestellt. Eine mobile Mini-Solaranlage lieferte gerade einmal den Strom, um die Akkus der Kameras aufzuladen. Unverzichtbar: das Satellitentelefon, um aktuelle Wetterprognosen von Dr. Karl Gabel, Wetteramt Innsbruck, abzufragen.
Ein Mehrzweck-Iglu konnte bei minus 40 Grad bedenkenlos als Speisekammer mit integrierter Toilette genutzt werden. Luxus: ein paar Bücher, Schokolade und Tüten voller Gummibären (1 Tüte pro Tag für Alexander). Ganz nebenbei: Sechs Wochen ohne Dusche und Rasur.
Steht das Basislager einmal, geht die Arbeit erst richtig los. Trotz lähmender Kälte arbeiten sich die Bergsteiger Stück für Stück an der Felswand in die Höhe. Im Eis wie an der Wand: jeder Tag eine neue Herausforderung, jeder Meter ein Triumph. Um eine Kletterroute abzusichern, muss tagelang in Schwerstarbeit Equipment nach oben transportiert werden. Um Ab- und Wiederaufstieg zu sparen, verbringt man auch die Nächte in so genannten „Portalegdes“ (Hängebiwaks) in der Wand. Nach sechstägiger „harter Plackerei“ (O-Ton Siegrist) gelang es den Männern schließlich die 750 Meter hohe Vertikale an der Holtanna Westwand erfolgreich zu durchsteigen.
Die neu eröffnete Route wurde „Eiszeit“ (750 m., 24 Seillängen, VII+/A4) getauft. (Anmerkung: I – XI kennzeichnet ansteigend die Schwierigkeit einer Felsroute, A 0 – A 5 kennzeichnet ansteigend die Schwierigkeit der technischen Kletterei.)
Plan A: Zumindest in schwierigen Kletterpassagen auf Handschuhe zu verzichten. Erste lokale Erfrierungen an Zehen und Fingern riefen jedoch Plan B auf. Bei Temperaturen von 46 Grad unter Null, die sich durch den katabatischen Wind (griechisch, katabatikos: herunter fließen), einem ablandigen Fallwind, im Windchill zu gefühlten minus 56 Grad entwickeln, waren nicht nur Handschuhe, sondern anstelle leichter Kletterschuhe auch vergleichsweise klobige Bergschuhe erforderlich. Alexander Huber: „Mit Schwierigkeitsgraden von 7 und 8, sonst null Problem für uns, waren wir hier am absoluten Limit.“
Die unvorstellbare Kälte, trotz Polarsommers in der Antarktis, hielt die Alpinisten jedoch nicht davon ab, auch den Nordpfeiler des Grantriesen Holtanna erst zu besteigen und die Route „Skywalk“ (450 m, 10 Seillängen, VII-)) zu eröffnen. Das Husarenstück gelingt. Die gesamte Route wird frei beklettert.
Auf Tourenskiern umrundeten die Bergsteiger das Massiv des Ulvetanna um eine begehbare Route auszuspähen. „Obwohl im Sommer in der Antarktis die Sonne nie wirklich untergeht, ist es unvorstellbar kalt. Kletterst du vorwiegend im Schatten, kannst du es gleich vergessen!“ so Thomas.
Kaum war die Route festgelegt und abgesichert, drängte auch schon die Zeit. Trotz aufkommender Schlechtwetterfront gelang auch am Ulvetanna eine Erstbegehung über den Nordwestpfeiler. Die neu eröffnete Route wurde „Sound of Silence“ (800 Meter, 20 Seillängen, VIII-/A2, bis zu 60° im Schnee) benannt.
Stephan Siegrist: „Wir haben gefroren, geschuftet, aber auch gefeiert. Nicht nur die Erfolge, auch zwei Geburtstage.“
Neben Gulasch, gefriergetrockneter Pasta und diversen Reisgerichten in Beuteln vom Spezialisten „Travellunch“ hatten die Alpinisten eigens dafür auch lightweight Desserts, ein paar Kerzen und laut Alexander etwas „Sprit“ in einer der 28 Transport-Boxen mitgebracht.
Doch es kam besser. Als nämlich Könige aus dem Morgenland erschienen. Und wie es sich für Majestäten geziemt, führten sie reichlich Gaben mit: frisch gebackenen Stollen, Bier, Käse, Cracker und – ob man’s glaubt oder nicht – Champagner! Manna vom Himmel? Biblische Szenen im Eis? Fatahmorgana? „An Dekadenz kaum zu überbieten“ so Thomas, aber zweimal innerhalb sechs Wochen bekamen die vier Männer überraschend für ein paar Stunden Besuch in der Stille und staubten kopfschüttelnd wahre Luxusgüter ab. Von Menschen, u. a. Königlicher Besuch aus Saudi Arabien, die für € 40.000,00 eben mal in die Antarktis fliegen und dort speisen.
Beinahe abenteuerlicher als die Kletterei empfand Thomas den 6 Stunden Flug von Kapstadt in die Antarktis: „Der Flug mit der russischen Iljuschin, einem Transportflugzeug für tonnenschweres Gerät, war schon heftig. Erst wollte der Vogel in Kapstadt nicht abheben. Und dann nicht landen! Nach einer ca. 6 km langen Schlitterfahrt kam unser Flieger irgendwie auf dem Blaueisfeld von Novo-Airport (Russische Forschungsstation Nowolasarewskaja) zum Stillstand.“
Alexander: „Die Wochen in der Antarktis waren extrem schön und erfüllend. Unvorstellbar wonnig die erste Dusche nach sechs Wochen. Eine Wohltat auch das satte Grün des Weihnachtsbaums! Außerdem war meine letzte Ration Gummibären verbraucht. Also mussten wir nach Hause!“