Leberkäs auf Kufen & Olympia Hedge Fond
1972 waren Sie Zivildienstleistender. War Gernstl ein Verweigerer oder sozial?
Gernstl Ich wollte ganz einfach nicht zur Bundeswehr. Damals gab es noch richtige Verhöre, um den Wehrersatzdienst antreten zu können. Ich war der erste Wehrersatzdienstler in der katholischen Jugendarbeit. Zivis waren damals suspekte Typen. So einen auf die Jugend, die katholische noch dazu, loszulassen, war gar nicht so unbedenklich.
Während der Spiele waren Sie in einem „Olympischen Begegnungszentrum der katholischen Kirche“ tätig. Klingt mäßig interessant.
Gernstl Mein Vorgesetzter in Rosenheim beteiligte sich 72 an einem Olympischen Begegnungszentrum in München. Jugendliche, die zu den Spielen reisten, konnten sich dort Vorträge anhören oder sich – falls sie es brauchten – seelischen Beistand holen. Ursprünglich sollte ich Diskussionsrunden gestalten. Das war mir zu fad, das Publikum zu heilig, also habe ich den Thekendienst übernommen. Während der Spiele habe ich über 500 Toast Hawaii produziert! In Wahrheit aber war ich in München um Mädels kennen zu lernen und rund um Olympia Spaß zu haben.
Gibt es sportliche Disziplinen, die Sie im Fernsehen verfolgen?
Gernstl Nein, weil ich mit Leistungssport nichts anfangen kann. Aber Fußballwelt- oder -europameisterschaften verfolge ich. Aber nur, weil alle schauen. Um mitreden zu können quasi. Zum Public Screening allerdings gehe ich gerne, weil das lustige gesellschaftliche Ereignisse sind.
Wie sportlich ist Gernstl selbst?
Gernstl Mir ist Sport als Selbstzweck unverständlich. Wenn ich Sport treibe, dann nur, um nicht gänzlich einzurosten. Nicht etwa, weil es Spaß macht. In meinem Schlafzimmer steht daher so eine Tretmaschine, an der ich mich zwei- dreimal pro Woche versuche.
Fährt Gernstl Ski?
Gernstl Skifahren ist mir völlig misslungen, obwohl ich am Wendelstein geboren bin. Wie jedes Kind habe ich zu Weihnachten Ski bekommen. Bei meiner zweiten Abfahrt stürzte ich in die Mangfall. Danach habe ich die Ski für immer in die Ecke gestellt. Später haben mir meine Eltern Eishockeyschuhe geschenkt. Die waren viel zu eng. Meine ersten sportlichen Erfahrungen waren also eher unangenehm und vielleicht prägend.
„Sport ist Mord“ oder „Es lebe der Sport“?
Gernstl Sport ist Mord – das war doch Churchill, oder? In jungen Jahren war das unser Spruch, um uns vor Sport zu drücken. Insofern entspricht mir das mehr.
Waren Sie schon einmal in der Allianz Arena?
Gernstl Nein. Ich war nur ein einziges Mal im Fußballstadion. 1977 in Braunschweig. Paul Breitner spielte damals noch für „Jägermeister“ (Anmerkung: Eintracht Braunschweig, 72 bis 85 Trikotsponsor Jägermeister). Dieser Stadionbesuch war wohl auch prägend. Als Regieassistent für Breitners Fußballmagazin durfte ich erstmals ein TV Team, das in der Südkurve stationiert war, koordinieren. In unseren Reihen hingen merkwürdige Gestalten herum, die uns während der ersten Halbzeit mit kleinen Jägermeisterflaschen traktieren. Grinst: In der zweiten Halbzeit wurde es heftiger. Mit einer Art Beil, also so kleinen Tomahawks, hackten diese Irren auf unserem Kamera-Kompendium herum. Der Stress mit denen war mir zu blöd. Das war mein erster und letzter Stadionbesuch.
Sergey Kokasin, der Verwalter von Timofeis Anwesen, unterbricht das Interview. „Möchten Sie Rotwein oder vielleicht Sekt?“ Es ist kurz nach 10 Uhr.
Gernstl Wenn’s sein muss, ja unbedingt! Gerne trinke ich einen Schluck Roten. Ich hab’s seit ein paar Tagen mit dem Rücken. Vielleicht entspannt das. Weil’s mir gerade auffällt: Ich befürchte ein ungebügeltes Hemd erwischt zu haben. Sieht man das? ... Ach, ist ja traumhaft hier bei Timofei, wie im Paradies. Hier hüpfen ständig Hasen herum. Haben Sie die schon gesehen?
Ist der Leistungsgedanke eines Profisportlers für Sie nachvollziehbar?
Gernstl Ja, sicher ist es ein Glücksgefühl, wenn man ein Ziel erreicht. Das ist ein Muster, das Menschen glücklich macht. Nicht nur im Sport.
Haben Sie jemals im Sport so ein Gefühl gehabt?
Gernstl Ja, als ich letzten Herbst im Auftrag des ADAC Reisemagazins auf dem Schachen (1866 m) war. Oben anzukommen war ein gutes Gefühl. Wenn man sich einer Herausforderung stellt, nicht davor davonläuft, sie dann auch bewältigt, macht das zufrieden. Glück empfand ich am Parkplatz. Die Bergschuhe ausziehen – das war göttlich.
Also bewegen Sie sich gerne in der Natur?
Gernstl Grundsätzlich finde ich es großartig und natürlich besser als den Sonntag auf der Couch zu verbringen, was ich allerdings auch regelmäßig tue. Inzwischen bin ich aber immerhin so weit, dass ich zwei- dreimal pro Woche im Englischen Garten laufe.
Waren Sie als Kind mit Ihren Eltern in den Bergen?
Gernstl Keine 50 Meter ist mein Vater, ein fanatischer Autofahrer, zu Fuß gegangen. Mit seinem Lloyd 600, später mit einem VW Bus, ist er mit uns am Wochenende schlechte Bergstraßen hochgefahren, bis die Mama Angst bekam. Dann anhalten und Brotzeit machen – das war sein Vergnügen.
Ähnlich machen Sie es heute in Ihrer Sendung „Gernstl unterwegs“.
Gernstl Ja, das habe ich tatsächlich von meinem Vater geerbt. Spazieren fahren mit dem Auto ist schön. Nur macht das heutzutage keiner mehr.
Eine Studie bei Olympischen Spielen ergab: Bronzemedaillen-Gewinner sind messbar glücklicher als Silbermedaillen-Gewinner. Diese glauben, Gold verloren zu haben. Wie würde der diplomierte Sozialpädagoge Gernstl den Zweiten trösten?
Gernstl Stell dich nicht so an, Blödmann! Jammere hier nicht rum, sei froh, dass du den zweiten Preis gewonnen hast, ist doch großartig!
Sie haben für Ihre Arbeit u.a. zweimal den Adolf-Grimme-Preis erhalten. Was bedeuten Ihnen Preise?
Gernstl Ich red’ mir immer ein, dass sie mir nix bedeuten, habe sie aber doch in meiner Firma in einer Vitrine aufgestellt. Sagen wir einmal so: Ich bin froh, ein paar Preise erhalten zu haben, jetzt muss ich ihnen nicht mehr hinterher hecheln.
Rein hypothetisch: Sie sind Olympiasieger. Gold um den Hals, Deutschlandflagge wird gehisst, die Hymne ertönt. Singt Gernstl mit?
Gernstl Nationalhymnen und Fahnen bereiten mir eher Unbehagen. Ich würde aber brav mitsingen, bloß, um nicht unangenehm aufzufallen.
Als die Kosten für die Spiele 72 explodierten, wurden die Glücksspirale, die Olympia-Lotterie eingeführt, Olympiamünzen millionenfach verkauft. Die Einnahmen deckten einen Großteil der Finanzierungslücke. Nehmen wir an, Sie müssten Geld für die Spiele 2018 auftreiben. Unkonventionelle Vorschläge?
Gernstl Dieses Münzenset habe ich damals auch gekauft. Allerdings ein paar Monate später, als ich Geld brauchte, wieder verscherbelt. Zu Ihrer Frage: Ich würde Straßenmusiker in der Fußgängerzone und im Englischen Garten für Olympia spielen lassen. Die verdienen nämlich gut und das zu Recht. Ich gebe auch immer gerne. Straßenmusiker sind ein Gewinn für jede Stadt. Lacht: Wir könnten auch Olympia-Aktien auflegen und nach amerikanischem Vorbild viel Geld mit einem für Anleger ruinösen Olympia-Hedge-Fond machen. Das wär’ doch was, oder?
Wie war der Lifestyle damals den Siebzigern in München und Rosenheim?
Gernstl Wir waren in Rosenheim so eine Art Kleinstadt-Hippies. Als Frank Zappa Fan hatte ich mir nach meiner Banklehre lange Haare und einen Bart wachsen lassen. Mit meinem NSU Prinz bin ich regelmäßig nach München gefahren, um Popkonzerte zu besuchen. Größen wie Ray Charles, Bob Dylan, die Stones sind damals im Deutschen Museum aufgetreten. Ausgehen konnten wir auch in Rosenheim ganz gut. Im Salzstadl oder Westernsalon. Am Wochenende kamen sogar die Münchner zu uns, um uns unsere Weiber wegzuschnappen. War ja leichter, weil die Szene zentralisierter war. In München gab es damals etliche angesagte, coole Clubs: den Drugstore, extrem hip auch das Blow-Up und Schwabylon. Auch das Crash und Eastside waren in.
Wer wäre Ihr Held in einer Olympia-Reportage?
Gernstl Mein Kollege, ein Sportfanatiker, lacht mich immer aus, weil mir die wenigsten Sportlernamen etwas sagen. Ganz ehrlich – nicht weil ich damit kokettieren möchte – mir sind Sportler einfach wurscht. Wenn ich einen Sportler namentlich kenne, dann hat der schon etwas ganz Besonderes, Elementares an sich. Olli Kahn ist so einer. In meiner Reportage würden nur authentische Sportler vorkommen, keine aalglatten oder angepassten Typen. Aber auch eine Klofrau oder ein Zeugwart könnten meine Helden sein.
Der von Otl Aicher für 72 entworfene Dackel Waldi war das erste offizielle Maskottchen Olympischer Spiele. Wie sympathisch ist er Ihnen?
Gernstl Ja, ja, Dackel mag ich gerne. Störrisch, eigensinnig, aber irgendwie freundlich. Waldis Farben sind sehr modern. Seine Kopfhaltung finde ich auch gelungen. Er schaut fast ein bisschen devot, aber auch eifrig nach oben. Waldi versucht schon ein ordentlicher Dackel zu sein. Er ist mir sehr sympathisch.
Entspricht Waldi der bayerischen Seele?
Gernstl Ja, sehr. Wahrscheinlich war das die Idee dahinter.
Wie gut verträgt sich die Oberbayerische „Mia-san-mia-Haltung“ mit der Weltoffenheit Olympischer Spiele?
Gernstl „Mia san mia“ klingt bloß a bissal gschert, aber wenn man tiefer geht, bedeutet es ja, mit sich und der Welt im Reinen zu sein. Erst wenn man das ist, kann man auch Gäste empfangen. Insofern verträgt sich das sehr gut.
Angenommen wir bekämen die Spiele 2018 und Sie müssten ein Maskottchen entwerfen. Wie würde es aussehen?
Gernstl Vielleicht ein Paar Weißwürste mit Flügeln. Oder ein Leberkäs-Express auf Kufen?
Jetzt haben Sie es als Sportmuffel in den Sportteil der TZ geschafft. Ich kann Ihnen die Frage nicht ersparen: Was war Ihr bisher größter sportlicher Erfolg?
Gernstl In der Schule gab es immer Leichtathletik Wettbewerbe, eine Art Mehrkampf. Ab einer gewissen Punktezahl gab es Urkunden. Hast du keine erhalten, warst du der totale Loser. Insofern war ich sehr bemüht, eine Top-Leistung abzuliefern. Da ich im Werfen und Springen ganz gut war, habe ich die Urkunde immer problemlos bekommen.
Und später?
Gernstl Lacht: Die bereits erwähnte Bergtour auf den Schachen. Ich habe die angegebene Gehzeit von vier Stunden zwar nicht ganz geschafft, aber nur, weil ich auf halber Wegstrecke kurz eingekehrt bin. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, mich vom Ausblick oben nicht beeindrucken zu lassen, ist es dann doch passiert.