Der Eiger und ich - das ist eine Art Liebe.
Wo erwischen wir dich gerade?
Hoi, ich bin gerade am Packen. Simon Gietl und ich fahren wieder zum Arwa Spire. In ein paar Tagen geht es los. Frank Kretschmann wird uns als Fotograf begleiten. Er wollte ja schon letztes Jahr mit, hatte aber keine Zeit.
Für ihn sprang Daniel Ahnen als Fotograf und Kameramann ein. Er ist bei dieser Expedition in einer Gletscherspalte verunglückt.
Nicht nur für Simon und mich war das ein überaus tragisches Erlebnis. Auch für Frank, der Daniel gut kannte, war es sehr, sehr bitter. Dieses Jahr kommt Frank mit, um sich vor Ort ein Bild zu machen.
Wird man von euch in einem Blog hören?
Nein, es geht primär darum, den Weg zurück anzutreten. Den Weg zu Daniel. Natürlich auch zurück zu unserem Projekt. Es bestmöglich in einem guten Stil abzuschließen wäre unser Wunsch. Es wird eine sehr emotionale Expedition. Glaube mir, es wäre leichter, nicht mehr dort zu hinzugehen, ein neues Projekt zu fokussieren. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es richtig ist, zurückzukehren.
Nach dem Unglück hast du, wenn ich richtig informiert bin, Daniels Eltern und Freundin besucht. Magst du darüber sprechen?
Es braucht eine riesen Überwindung den Eltern und der Partnerin gegenüberzutreten. Eine enorme Unterstützung war dabei Reiner Gerstner von Salewa. Ab dem Unglück war er für Simon und mich rund um die Uhr erreichbar. Er hat mich auch nach Berlin begleitet, wo wir Daniels Familie besucht haben. Wenn du dann den Hinterbliebenen gegenüberstehst, wirst du ganz klein. Da fließen viele Tränen. Da ist man ohnmächtig. Ich habe versucht so detailliert wie möglich zu erklären, warum wir Daniel nicht nach Hause bringen konnten. Simon und ich haben fünf Tage lang wirklich alles versucht, dabei viel riskiert, aber die Dimension dieser Gletscherspalte ist unvorstellbar, wenn man sie nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Den Eltern gegenüberzustehen war – so schlimm und bitter es war – auch Teil der Verarbeitung. Man muss da durch. Es hilft alles nix.
Kamen Vorwürfe?
Nein. Ich hatte das Gefühl, die Familie hat uns verstanden. In diesem Zusammenhang waren für mich auch die Gespräche mit meinem Vater wichtig. Als Polizist hat er derart schwierige Situationen schon öfter erlebt. Er hat mich vor der Fahrt nach Berlin aufgebaut, mir erklärt, wie wichtig solche Gespräche vor allem für die Hinterbliebenen in der Verarbeitung sind.
Wechseln wir das Thema. Bist du als Bergführer noch regelmäßig mit Kunden unterwegs?
Selten, obwohl ich nach wie vor nicht abgeneigt bin, aber die Zeit reicht momentan einfach nicht aus, um Touren zu führen. Ich bin mit Training, Vorträgen, Expeditionen, Vorbereitungen darauf ziemlich ausgelastet. Wobei: Ich betreue das Nachwuchsteam des Schweizer Alpenclubs. Gerade war ich mit 8 Jungs und einem Mädel zum Bergsteigen und Klettern in Peru. Das war toll. Hinter diesem Projekt stehe ich voll.
Apropos Nachwuchs. Wie bist du zum Klettern gekommen?
In einem kleinen Bergdorf aufgewachsen bin ich mehr oder weniger ab der Geburt in den Bergen herumgepurzelt. Mein Vater ist aktiver Bergretter und hat mich oft in die Berge mitgenommen. Bei Rettungsaktionen brauchte er außerdem oft ein Opfer.
Heißt, du hast als kleiner Bub bei der Bergrettung das Opfer gespielt?
(Lacht) Ja, so war das. Bei Übungen spielte ich den Verletzten, den Verschütteten und wurde dann geborgen.
Und irgendwann hattest du dann wirklich einen schweren Kletterunfall. Was ist damals passiert?
Ich war damals 17 Jahre alt, super motiviert aber ziemlich unerfahren. Zu Hause im Klettergarten hat es Türme an die 30 Meter hoch. Da ist es dann passiert. Der Unfall war wie so oft eine Verkettung von dummen Umständen und mangelnder Kommunikation. Wir hatten bis dahin immer nur 50 Meter Seile und waren erstmalig mit einem 60 Meter Seil unterwegs. Früher ist man auf den Turm geklettert, hat nachgesichert und abgeseilt. Nun kam aber das Toprope Klettern auf. Wir waren alles andere als routiniert darin. Ich dachte damals mein Kollege lässt mich runter, habe am Standplatz probiert umzufädeln, was ich auch noch nicht wirklich im Griff hatte. Unten war ich also nicht mehr im Sicherungsgerät, als ich mich zurücklehnte, ohne jede weitere Kontrolle meinerseits. Mein Sicherungspartner aber zog sich gerade die Kletterschuhe an. Und so lief das Seil ungebremst durch die Umlenkung. Die Route war senkrecht, leicht überhängend. Ich schlug ungebremst 30 Meter tiefer in der Steinhalde auf.
Böse Verletzungen?
Beide Beine hat’s erwischt. Offene Fraktur. Auch einige heftige Fleischwunden am Hintern. Ein Wirbelfortsatz war gebrochen, was aber nicht weiter tragisch war. Richtig schlimm war nur der rechte Fuß.
Spätfolgen?
Nicht behindernd. Manchmal, speziell wenn ich müde bin, fragen mich Leute ob ich was am Fuß hätte, weil ich offensichtlich leicht hinke. Mir selbst fällt das gar nicht auf. Außer, dass ich bei gewissen Bewegungen spüre, dass das rechte Fußgelenk weniger beweglich ist als das linke.
Dein Hausberg ist der Eiger. Was ist das für eine Beziehung?
Mittlerweile ich habe ich in Grindelwald am Wandfuß einen alten Wohnwagen stehen, den ich gerade mit meiner Freundin ein wenig umbaue. Der Eiger ist eine Herzensangelegenheit. Er ist für mich wie ein wertvolles Gemälde. Ich kann mich an ihm einfach nicht satt sehen. Wenn ich ihn anschaue, entstehen fortlaufend neue Ideen. Der Eiger ist mein Spielplatz. Winter wie Sommer. Ich kann mich dort austoben, Erstbegehung versuchen, aber auch einfach „nur“ trainieren.
Lebst du in diesem Wohnwagen?
Nein, nicht direkt. Ich wohne in Hergiswil am Vierwaldstättersee. Es war ein langer Traum von mir in Grindelwald zu leben. Als ich von einem älteren Ehepaar hörte, das einen Wohnwagen, der 30 Jahre lang am Wandfuß des Eiger stand, verkaufen wollte, hab ich sofort zugeschlagen. Wenn es meine Zeit erlaubt, fahre ich dort hin.
Eine Art zweite Heimat? Der Eiger und du, ist das eine Art „Liebe“?
Ja, doch. Wenn ich mit dem Auto Richtung Grindelwald fahre und der Eiger lacht mich nach einer Kurve plötzlich an, dann weckt das schon Heimatgefühle. Manchmal schau ich dann hoch und führe Zwiegespräche mit ihm.
Du redest mit dem Berg?
(Lacht) Nicht nur mit dem Eiger! Auch bei anderen Bergen klopfe ich – bildlich gesprochen – am Wandfuß erst einmal an und frage, wie denn die Stimmung so sei. Ich habe zu allen Bergen und Wänden, an denen ich klettere, eine Verbindung. Ich versuche sie gnädig zu stimmen, damit sie mich nicht abschütteln. Zumindest in meinen Gedanken tue ich das.
Wie bist du mit deiner Freundin zusammen gekommen?
(Lacht) Der Eiger hatte seine Finger ihm Spiel. Yuri ist die Tochter des Erstbegehers der Japaner Direttissima. Wir haben uns in Grindelwald kennen gelernt. Vor ein paar Jahren als alle Erstbegeher eingeladen waren, die in der Eiger Nordwand ihre Spuren hinterlassen haben. Sie begleitete damals ihren Vater. Zu ihrem 30. Geburtstag wollte Yuri über den Mittellegigrat auf den Eiger und fragte mich, ob ich das machen könnte.
Ans Seil genommen und nicht mehr losgelassen?
(Lacht) Ja, so ähnlich!
Gibt es außer Klettern noch Platz für andere Sportarten oder Hobbies?
Im Winter bin ich oft und wirklich gerne beim Langlaufen. Auch am Mountainbiken finde ich immer mehr Spaß. Aber ich habe wenig Zeit für meine Hobbies. Obwohl ich in einem Skigebiet aufgewachsen und Skilehrer bin, komme ich mittlerweile selten zum Skifahren. Das Klettern nimmt sehr viel Raum ein.
Kannst du für uns den Zustand „Flow“ beschreiben?
In den Zustand eines Flows komme ich nur, wenn die Herausforderung entsprechend groß ist, wenn also die Chancen 50:50 stehen. Um diesen Idealzustand überhaupt zu erreichen, braucht es viel Vorbereitung und gutes Training. Wenn ich dann die erste Schlüsselstelle überwinde, weicht die Unsicherheit im Optimalfall einer Gewissheit. Und irgendwann wächst du dann über dich hinaus, bekommst du unglaublich viel Energie, obwohl das Klettern an sich ja Kraft kostet. Du bist nur noch am Machen. Alles um dich herum wird gedämpft, fast schon unbewusst wahrgenommen. Trotzdem bist du völlig präzise, total im Moment. Gefühle und Schmerzen rücken in den Hintergrund. Das Zeitgefühl ist weg. Dein Körper funktioniert nur noch.
Schöner Zustand?
Ja, superschön. Mit das Beste, was man so erfahren kann.
Welche Schlagzeile würdest du gerne von dir in der NZZ lesen?
Die NZZ ist eine renommierte Schweizer Zeitung, mit einem tollen Alpinteil. Dort erwähnt zu werden, ist ehrenwert und toll, aber ich strebe das nicht an. Viel wichtiger ist, was ich persönlich noch erreichen möchte. Ob nun mit oder ohne Schlagzeile.
Und das wäre?
Ich habe schon vor einiger Zeit damit begonnen eine neue Route an der Ostseite des Fitz Roy einzurichten. Dort in einem super Stil eine Erstbegehung zu realisieren, das wäre klasse.
Welches Motiv ist dein Hintergrundbild am Computer?
Am Wandfuß des Eiger hat einer die Inschrift „Den Eiger kümmert’s nicht“ in den Fels gehauen. Ein Foto davon ist mein Hintergrundbild.
Gesetzter Fall: Du musst in einer Karaoke Bar auftreten. Welchen Song würdest du singen?
„We are young“ von, hmm, wie heißt die Dame nur? Warte, ich spiel’s dir gleich vor. Wenn ich ein wenig auf meinem Handy rumdrücke, sollte ich das finden... Hörst du’s? Kennst du das? Aaah, jetzt erscheint auch der Name der Interpretin. Sie heißt Janelle Monáe. Ihr Lied würde ich singen.
Mit wem würdest du gerne einmal eine Nacht im Portaledge verbringen?
(Lacht) Puuh, lass mir da eine Minute Zeit. Da kommt mir sicher was Gutes in den Sinn. Es müsste auf alle Fälle eine Frau sein. Obwohl, wenn ich so überlege, sag ich – diplomatisch wie ich bin – mit meiner Freundin. Sonst bekomm’ ich noch Ärger.
Welche Verkleidung würdest du auf einem Kostümfest wählen?
Du stellst vielleicht Fragen! Lustig wäre wohl, wenn ich mich als Affe verkleiden würde. Nicht nur weil diese Viecher gut klettern können, sondern weil mir Affen echt sympathisch sind.
Hättest du gerne ein Haustier?
Nein. Hunde hab ich wohl sehr gerne. Meine Eltern und meine Schwester haben einen Hund. Aber mich stört, wie viel Platz die in der Regel im Leben eines jeden Besitzers einnehmen.
Gibt es Dinge, die dich im Alltag ärgern oder nerven?
Was mich echt nervt sind Passwörter, Codes, PINS und all der Kram. Sich permanent wo einloggen müssen, wenn man die Zugangsdaten ständig vergisst, das ist miserabel. Auch Schlüssel nerven. Ich wäre für eine Welt ohne Schlüssel.
Klettern an Plastikgriffen steht auf der Shortlist und könnte 2020 olympisch werden. Würde Olympia dem Klettersport gut tun?
Dazu kann ich keine profunde Meinung abgeben, da ich mich bisher zu wenig damit auseinandergesetzt habe. Olympia ist doch sehr politisch. Ob das dem Sport gut tut, weiß ich nicht. Es hätte Vorteile, aber auch etliche Nachteile für den Klettersport.
Es könnte sich jemand Olympiasieger im Klettern nennen, ohne je Felskontakt gehabt zu haben. Passt das für dich?
Klettern an Plastikgriffen lässt sich vergleichen, messen und daher auch fair beurteilen. Viel kritischer wäre es, wenn es im Alpinismus um Olympisches Gold ginge. Das wäre in der Tat problematisch, da man die Leistungen ja nicht vergleichen kann.
Hast du persönlichen Kontakt zu anderen Schweizer Alpinisten? Steht einer Freundschaft die Konkurrenz im Wege?
Wir sind ja alle miteinander aufgewachsen. Sehr kindlich und freundschaftlich. Später, als wir in den Bergsport kamen, hat man sich vielleicht mal über die eine oder andere Äußerung geärgert, hat man sich unabsichtlich das Revier ein wenig streitig gemacht. Aber mittlerweile sind wir alle, die wir vom Bergsteigen leben, reifer geworden und haben auch mehr Distanz, was hilfreich ist. Jeder hat seine Nische, sein Spezialgebiet gefunden. Früher sind wir natürlich auch miteinander geklettert. Ich trauere der Zeit zwar nicht nach, aber es war eine wunderschöne Zeit, als ich Stephan Siegrist mehrere Jahre zusammen in einer WG in Interlaken gewohnt hatte. Auch mit Ueli Steck bin ich früher gemeinsam geklettert. Aber unsere Wege haben sich automatisch ein wenig getrennt. Wir haben alle ein sehr entspanntes, nettes Verhältnis zueinander. Man gratuliert sich gegenseitig nach Erfolgen. Und dann und wann geht man auch mal gemeinsam in die Kletterhalle.