Der Überflieger

Erste Flugversuche startet er im zarten Alter von 14 Jahren. Nach der Schule wird aus der Passion ein Wettkampfsport und schließlich sogar sein Beruf. Michael Gebert (30) ist Gleitschirmflieger und lebt in Fischen/Allgäu, wo er mit seiner Firma „High Experience“ Kurse und Reisen anbietet. Zum vierten Mal nimmt der Semiprofi an den Red Bull X – Alps teil und überquert dabei die Alpen. Von Salzburg nach Monaco. Per Gleitschirm und zu Fuß.

Michi, beschreibe dich in drei Worten.

Michi (lacht) Wie bei einer Kontaktanzeige quasi? Sehr aktiv, tolerant und freiheitsliebend.

Nehmen wir an du könntest Frühstück, Mittag- und Abendessen an drei unterschiedlichen Orten dieser Erde einnehmen. Wohin führt die Reise?

Michi Mein Frühstück würde ich bei Sonnenaufgang auf einem Berggipfel einnehmen. Mittags wäre ich an einem schönen Plätzle am Strand. Und abends? In der Wüste.

Mit wem würdest du niemals auf Reisen gehen?

Michi Intolerante Menschen kann ich nicht ausstehen. Wenn man sich auf Reisen ständig darüber aufregt, dass etwas nicht so ist wie man es gerne hätte, dann sollte man lieber zu Hause bleiben. Meist sind das Menschen, die im Luxus leben und sich über Kleinigkeiten aufregen, die an sich sekundär sind. Manchmal muss man auf Reisen Unangenehmes an- oder hinnehmen können. Die wenigsten Menschen können das.

Was ist dein Beruf?

Michi Unmittelbar nach Schule und Zivildienst bin ich auch schon beim Gleitschirmfliegen hängen geblieben. Heute bin ich selbständig und finanziere mein Leben einerseits als Gleitschirmlehrer, biete über meine Firma „High Experience“ aber auch Gleitschirmreisen an. Außerdem gibt es Einnahmen aus der Wettkampf-Fliegerei und Sponsorengelder.

Man bezeichnet dich als Extremsportler. Siehst du dich als solcher?

Michi In der Tat, meine Leidenschaft erscheint mir persönlich gar nicht als extrem. Das ist eher eine Schublade, in die man gesteckt wird. Es kommt natürlich immer auf den Standpunkt an. Für einen Außenstehenden, der vom Gleitschirmfliegen nicht viel versteht, mögen meine Projekte durchaus extrem sein. Mir persönlich erscheint der Begriff „abenteuerlich“ passender.

Seit wann bist du Gleitschirmflieger?

Michi Meine ersten Selbstversuche startete ich mit 14 Jahren. Mit 16 durfte ich dann den Schein machen. Und dann ging’s richtig los.

Du nimmst zum 4. Mal an den Red Bull - X Alps teil. Was reizt dich an diesem Wettbewerb besonders?

Michi Die Kombination aus Fliegen und Laufen gefällt mir. Das Zusammenspiel aus mentaler Anstrengung beim Fliegen und die körperliche Herausforderung des Bergsteigens machen diesen Wettbewerb so reizvoll. Außerdem spielen Taktik und Routenwahl eine entscheidende Rolle. Es gibt zwar fixe Wendepunkte, die man im Laufe des Rennens erreichen muss, aber als Teilnehmer hast du unendlich viele Möglichkeiten. Ich selbst entscheide, wann und wie lange ich fliege, wo ich starte oder wann es besser ist, zu Fuß zu gehen. Darüber hinaus ist die Arena, in der wir uns bewegen, einfach großartig: wir fliegen schließlich über die Alpen!

Worin besteht die größte Schwierigkeit bei den Red Bull - X Alps?

Michi Nun, man kann das Fliegen sehr sicher, aber auch super riskant betreiben. Da man nun einmal beim Fliegen schneller ist und sich körperlich nicht sonderlich anstrengen muss, verschiebt man schon mal die Grenzen. Vor allem dann, wenn keine idealen Flugbedingungen herrschen und man dennoch fliegt. Andererseits gehst du auch körperlich total an deine Grenze. Wenn bei Schlechtwetter kein Flug mehr möglich ist, dann läufst du eben, den Schirm auf dem Rücken, stundenlang zu Fuß, bergauf bergab. Es ist interessant zu erfahren, was man alles aus sich herausholen kann.

Ist bei diesem Bewerb der guter Gleitschirmflieger oder ein konditionsstarker Bergsteiger im Vorteil?

Michi Das hängt stark von den Wetterbedingungen ab. Scheint 14 Tage lang die Sonne, sind die guten Gleitschirmflieger natürlich im Vorteil. Spielt aber das Wetter verrückt, profitieren die konditionsstarken Läufer. Am besten, man hat beides richtig gut drauf. Klar ist auch: Gut fliegen kann man im Idealfall zwischen 10 und 17 Uhr. Aber dann geht’s ja erst richtig los. Dann läuft man bis in die Nacht hinein. Also ist körperliche Fitness ohnehin unabdingbar.

Kann man so einen Wettkampfflug auch genießen oder ist man doch sehr mit körperlicher Befindlichkeit, Strategie etc. beschäftigt?

Michi Wenn alles top läuft, das Wetter grandios, man selbst im Flow ist, vielleicht über 120 Kilometer am Stück fliegen kann, über herrliche Gletscherlandschaft hinweg, dann ist das schon ein Genuss. Aber natürlich gibt es auch Flüge, bei denen man sich nur durchkämpft und froh ist, wenn man wieder Boden unter den Füßen hat.

2011 greift eine neue Regel: eine vorgeschriebene Ruhepause für alle Teilnehmer zwischen 23 und 4 Uhr. Die Jahre zuvor wart ihr also auch nachts unterwegs?

Michi (lacht) Ja, wir haben etwas übertrieben die letzten Jahre. Ganz ehrlich, wir haben nie mehr als drei Stunden geschlafen, sind trotz Müdigkeit an die 80 bis 90 Kilometer pro Tag gelaufen. Das geht natürlich gegen Ende des Wettbewerbes extrem an die Substanz. Beim Fliegen, wenn der Puls runter fährt, fallen dir da schon mal die Augen zu.

Gefällt dir die Regeländerung?

Michi Sie war nötig. Aber irgendwie finde ich es auch schade, dass der 24-Stunden-Charakter nicht mehr gegeben ist. Jetzt ergibt sich außerdem ein kleiner Vorteil für die guten Flieger. Und: Das Taktieren wird noch brutaler und wichtiger. Jetzt muss ich schon sehr gut planen, wo ich um 23 Uhr bin, wenn ich anhalten muss und mich bis 4 Uhr nicht mehr vom Fleck bewegen darf.

Die Rennleitung überprüft das also alles?

Michi Ja, ein GPS Gerät ist mit meinem Handy gekoppelt und sendet alle zwei Minuten meine exakte Position. Das kann also lückenlos überprüft werden. Zugleich macht dieses Live-Tracking den Bewerb so interessant, weil man unsere Positionen auch während des gesamten Wettbewerbes im Internet live auf der Seite der Red Bull X – Alps mitverfolgen kann.

Wo verbringt man die Nächte?

Michi Jedem Teilnehmer steht ein persönlicher Supporter mit Bus zur Verfügung. Im Idealfall kann man dort übernachten.

Der Supporter ist quasi dein Bett auf Rädern?

Michi Nicht nur das. Er ist mein Verbindungsmann, versorgt mich mit Wetterdaten, Essen, Getränken, Wechselklamotten und darf mich auch ein Stück meines Weges begleiten. Mein Pflichtgepäck, also die gesamte Flugausrüstung, muss ich selbst tragen, aber alles andere kann ich meinem Supporter überlassen.

Was, wenn es unmöglich ist, um 23 Uhr auf den Supporter zu treffen?

Michi (lacht) Dann schläfst du eben ohne Schutz, irgendwo in der Prärie.

Wie lange dauerte dein bisher längster Gleitschirmflug am Stück?

Michi 7,5 Stunden. Wobei die Zeit nicht so interessant ist, sondern vielmehr die Länge der Strecke. In dem Fall waren das ca. 300 Kilometer im Flachland Brasiliens.

Da drängt sich eine weitere Frage auf. Thema: Toilette. Tragt ihr etwa Windeln?

Michi Bei uns Männern ist das vergleichsweise einfach. Wir tragen Urinalkondome bei uns.

Pardon, und das größere Geschäft?

Michi (lacht) So weit darf es nicht kommen!

Bist du ein guter Bergsteiger?

Michi Ich bin zwar kein Spitzenkletterer, aber sehr ausdauernd und komme im alpinen und hochalpinen Gelände gut zurecht.

Dachstein, Großglockner, Piz Palü und Mont Blanc – sind unter anderem Wendepunkte der diesjährigen Red Bull X – Alps, die ihr erreichen müsst. Kann man tatsächlich auf so hohe Berge fliegen?

Michi Da wir ja nur bis zur Wolkenuntergrenze thermisch aufdrehen können, versteht es sich von selbst, dass wir nur dann auf einen Gipfel fliegen können, wenn dieser nicht in Wolken gehüllt ist. Außerdem müssen wir im Wettbewerb ja nicht immer zwingend auf den Gipfel, sondern diesen – wie im Falle des Mont Blanc – nur nördlich passieren. Aber grundsätzlich, ja, kann man bei perfekten Bedingungen auf den Mont Blanc fliegen.

Kleines Spiel. Wo sitzt Michi Gebert lieber? In einer gemütlichen Hütte am Fuß des Matterhorns oder auf dem Gipfel? Raufschauen oder runterschauen?

Michi (lacht) Ich bin eindeutig gipfelfixiert. Also will ich unbedingt auf dem Matterhorn stehen. Ins Tal zu schauen hat etwas Erhabenes. Ich mag die Übersicht, die man dort oben hat. Das gefällt mir auch beim Fliegen so.

Gesetzter Fall: du kommst bei den diesjährigen Red Bull X – Alps in Monaco an. Was machst du unmittelbar nach der Landung?

Michi Ich setze mich an den Strand und lass’ die Seele baumeln. (Lacht) Also mache ich praktisch nichts.

Luft ist dein Medium. Als passionierter Skifahren offensichtlich auch Schnee. Die Berge, also feste Materie, magst du auch. Wie sieht es eigentlich mit Wasser aus?

Michi Als Kind bin ich nicht gerne zum Baden gegangen, bin auch nicht, zumindest nicht freiwillig, in einen See gesprungen. Das hat sich über die Jahre aber geändert. Ich bin mittlerweile gerne im Wasser.

1 aus 4. Du bekommst einen Urlaub geschenkt: Heliskiing in Alaska, Kiteboarding in Tarifa, Expedition ins Karakorum oder Wüstendurchquerung. Deine Wahl?

Michi Schöne, interessante Auswahl. Gefällt mir. Obwohl, Kiten in Tarifa scheidet eher aus. Die Wüste würde mich eindeutig am stärksten reizen.

Gibt es Dinge im Alltag, die dir Angst bereiten oder dich enorm viel Kraft, Überwindung kosten?

Michi (lacht) Buchhaltung, Steuererklärungen und Schreibtischarbeit kosten mich enorm viel Überwindung. Angst hingegen machen mir eher weltpolitische Aspekte, auf die ich wenig bis keinen Einfluss habe. Eine Atombombe etwa stellt eine reale Bedrohung dar. Und manches ängstigt mich zwar nicht, macht mich aber traurig.

Zum Beispiel?

Michi Wie wir Menschen mit der Umwelt umgehen, sie regelrecht zerstören.

Kannst du (d)einen perfekten Tag in den heimischen Bergen beschreiben?

Michi Ich liebe unterschiedliche Stimmungen in der Natur. Ein schöner Sonnenaufgang oder – Untergang ist natürlich göttlich. Aber auch bei richtigem Sauwetter empfinde ich intensiv. Trotzdem draußen zu sein, ist ein tolles Gefühl. Wenn man so eine Stimmung mit jemand teilen kann, dann ist das perfekt. Ich bin aber auch gerne alleine unterwegs und das zu merkwürdigen Zeiten. Abends losgehen und in die Nacht hinein zu marschieren etwa, ist etwas ganz, ganz Wunderbares.

Gibt es bei dir Vorbilder aus anderen Sportarten, die dich inspirieren oder zumindest beeindrucken?

Michi Als ehemaliger Wettkampf-Langläufer und leidenschaftlicher Skifahrer verfolge ich aus reinem Interesse diverse Weltcup Veranstaltungen. Inspiration aber finde ich eher bei den großen Entdeckern und Abenteurern früherer Zeiten. Ich lese auch unheimlich gerne die Expeditionsberichte der Pioniere am Berg. Deren Mut beeindruckt und inspiriert mich sehr.

Welche Persönlichkeit würdest du liebend gerne einmal auf einem langen Tandemflug mitnehmen?

Michi Ich würde vielleicht einen hochrangigen Politiker mitnehmen und ihm einmal von Angesicht zu Angesicht ein paar Fragen stellen. (Lacht) Na ja, und so eine richtig fesche Hollywood-Schauspielerin würd’ schon auch passen. Nur welche?